Fehlbohrung

Sonntags gab es eine Art Kinderdisko in der Herz-Jesu-Kirche. Das war natürlich nicht in der Kirche selbst, sondern es gab ein angrenzendes Gebäude und dort war eine Art Teestube. Sie nannten es “Schluff” glaube ich, weil einige Sitzbänke aus ausgedienten Eisenbahnwaggons stammten. Es war ganz gemütlich da.  Es gab eine kleine Tanzfläche und einen Kicker. Eine Cola oder Fanta kostete 50  Pfennig. Ich war 12. Der Kicker war stets schwer umlagert und die größeren Jungs dominierten das Gerät, weil sie schon viel geübter waren. Bewundernd sah ich zu, wie sie mit so unglaublicher Kraft und Schnelligkeit die Kugeln ins Tor knallten, dass das Holz krachte. Der Gewinner blieb immer am Tisch und so wechselten die Gegner. Im Hintergrund lief die übliche Popmusik dieser Zeit und das bedeutete im Jahr 1982 auch viel Neue deutsche Welle, Nena, Markus, Hubert Kah usw. Ich hampelte dort die ersten Tanzeinlagen meines jungen Lebens unter den blinkenden, bunten Lichtern. Wahrscheinlich zu “Nur geträumt” oder so. 

Da waren auch Mädchen. Und so kam es, dass wir eines Tages mit einer gemischten kleinen Gruppe ins Kino gingen. Es gab einen Film mit Markus und Nena. Neben mir saß die schwarzhaarige Claudia. Sie war nicht ganz so hübsch wie die bezaubernde Nena, in die ich ein wenig verliebt war, aber sie taugte durchaus als Übungsobjekt für erste Fummelversuche. Zunächst wagten wir uns an die seltsamen Zungenküsse. Man sollte waschmaschinenartig die Zunge kreisen lassen, hatte ich mir sagen lassen. Als Claudia und ich unsere Zungen also weisungsgemäß, mechanisch und ungeschickt routieren ließen, fand ich es wenig erfreulich und befremdlich und es machte auch nicht wirklich Spaß, aber man tat es aus irgendeinem Grund. Wahrscheinlich aus Neugier und Experimentierfreude, auf Befehl der ersten Sexualhormone, aber Lust kam dabei nicht auf, zumindest erinnere ich mich nicht daran. 

Mein erster kindlicher Ausflug in das Sexualleben sollte aber noch sehr peinlich werden, denn neben der anstrengenden und relativ unbeholfenen Zungenkreiserei gingen nun auch die Hände auf Wanderschaft. Ich tastete den fremden Körper ab. Es war eine Art Expedition der Hände in unbekanntes Gebiet. Ich stand unter hohem Streß dabei. Schließlich wagte ich es, meine Hand in den vorderen Bereich ihrer Hose zu schieben. Dort fanden meine Fingerkuppen üppiges Schamhaar vor und ich bohrte mit meinem Finger darin herum. Ich hatte wirklich keine Ahnung, wo anatomisch jetzt genau die Scheide bei einer Frau angebracht war. Hätte ich doch damals im Biounterricht besser aufgepasst, als die Overheadfolie mit dem Lageplan dran gewesen war. Aber vor lauter Peinlichkeit hatte ich damals nicht alles so genau mitbekommen. Ich erinnerte mich nur an meinen Klassenkameraden Ralf, der lachend vom Stuhl gekippt war. Ich will Ralf nicht die Schuld geben, aber ich dachte doch tatsächlich, es wäre vorne dran. Ich stellte mir vor, dass das Loch bei der Frau im Bereich des Venushügels zu finden sei. Ich hatte sogar bei meinen ersten Erektionen gedacht, dass mein Penis eine Fehlbildung sei, weil ich annahm er müsse im rechten Winkel nach vorne abstehen, damit man eben, ich dachte das sei so ähnlich wie bei Legobausteinen, den Mann auf die Frau stecken kann. Aber mein Penis hatte im steilen Winkel nach oben gezeigt. Eine Fehlkonstruktion! Verzweifelt hatte ich im Badezimmer gestanden und tatsächlich versucht ihn zu korrigieren und runterzudrücken. Soweit meine kindliche, vollkommen ahnungslose Theorie zum Sex. Nun war die Steckstelle bei diesem Mädchen an der vermuteten Stelle partout nicht zu finden. War sie denn auch fehlgebildet? Ich begann zu schwitzen. Wie konnte das bloß sein? Ich wäre nicht auf die Idee gekommen, etwas tiefer zu suchen, quasi nach unten hin, zwischen den Beinen. Wer kommt denn bitte auf sowas? So bohrte ich mit meinem Finger an ihrem Schambein herum, bis sie mich lachend fragte: „Sach ma: Suchste wat?“ Und mit puterrotem Kopf zog ich peitschenschnell meine Hand aus ihrer Hose zurück und schämte mich für den Rest des Filmes mit roten Ohren, während ich sie im Nachbarsitz leise kichern hörte. Dieser „Vorstoß“ meines Mittelfingers verreckte wegen Unkenntnis der weiblichen Anatomie am Schambein. Eine unfassbar peinliche Angelegenheit, aber auch der Beweis für meine völlige kindliche Unschuld und Ahnungslosigkeit. Junge, was habe ich mich geschämt! Ich hatte doch tatsächlich mit meinem Finger an der falschen Stelle gebohrt. Eine geradezu grandiose Fehlleistung. Hach, könnte ich doch nur im Erdboden versinken. Diese Schmach! Das war unvergleichlichen Maße peinlicher als das Nichtschwimmerbecken und alles, was ich sonst noch erlebt hatte!

Ja, ich war größtenteils noch ein ahnungsloses Kind. Und das betraf nicht nur die weibliche Anatomie, sondern eigentlich alle Bereiche des Lebens. Wie hätte es auch anders sein sollen? Ich war ja erst wenige Jahre auf der Welt und es gab so viel zu entdecken. Da konnte man ja nicht jedes Detail wissen! Erzählt es bloß nicht weiter!

Aus dem Kapitel: „Das Ende der Kindheit“ / Umwege. Die innere Reise. Band 1: Der Königssohn

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