Ich wuchs in diesen Jahren schnell und hatte deswegen unbeschreiblichen Appetit. Ich schaffte es vor lauter Hunger, aber auch aus gieriger Genußsucht und einer Art sportlichem Ehrgeiz heraus, sage und schreibe 14 Scheiben frischen Graubrotes mit Schmalz und je einer Prise Pfeffer und Salz zu verschmausen. Genüsslich kaute ich auf dem köstlichen, frischen Brot mit seiner krossen, dunklen Rinde und mampfte und schluckte, während ich dazu fernschaute.
Wenn wir mich also so beobachten, wie ich mir die fettigen Stullen ins schmalzverschmierte Gesicht schiebe, ist festzustellen, dass da erste Anzeichen einer gewissen Maßlosigkeit, eines gierigen Verhaltens zutage traten. Ich war ja zuhause völlig frei in meinem Handeln. Niemand beschnitt meine Freiheit. Während ich also ganz langsam begann, zum jungen Teenager heranzuwachsen, konnte man bei Gelegenheiten wie diesen durchaus beobachten, dass auch meine Gier wuchs, dass ich Dinge zuweilen durchaus extrem und maßlos betrieb. Warum aß ich nicht nur ein einziges Brot? Oder zwei? Sicherlich: Ich schoss geradezu in die Höhe und wuchs schnell, deswegen brauchte mein Körper Substanz. Auch sind Fressattacken bei Heranwachsenden keine Seltenheit, aber ich fraß nicht nur aus Hunger heraus. Ja, ich schreibe bewusst “fraß”, denn mit der vornehmen Tätigkeit des “Essens” hatte das nicht mehr viel zu tun. Ich stopfte mich, in den seligen Rausch des Geschmackes geraten, voll, bis mir schlecht war. Diese herrliche, dunkle, krosse Kruste des frischen Graubrotes hatte es mir angetan! Immer wieder versenkte ich meine Zähne in den wunderbar weichen und duftenden Teig des Brotes. Dank des fettigen Schmalzes rutschte alles fast wie von selbst in meinen gierigen Schlund. Das Aroma der Röstzwiebeln in dem glänzenden Fett zusammen mit dieser Prise Salz und Pfeffer war einfach zu köstlich! Ich stopfte mich voll wie eine Mastgans, bis ich mich vor Spannung im Bauch nicht mehr rühren konnte. Fresslähmung. Meine Mutter wunderte sich zwar über die rauen Mengen, aber sie lachte auch darüber und so lange ich Hunger hatte, durfte ich gerne essen! „Ein guter Appetit ist ein gesundes Zeichen!“ dachte sie sich. Immerzu rief ich:“Noch eins!“ in die Küche hinüber und meine Mutter lachte: “Das gibt es doch nicht! Du kannst doch gar keinen Hunger mehr haben!” “Doch, habe ich, Mama!” log ich. Es war kein Hunger. Es war Vergnügungssucht. Ein Wunder, dass ich niemals dick war. Es verwuchs sich einfach. Bescheidenheit wäre mir nicht in den Sinn gekommen. Warum auch? Zumindest an Schmalz und Brot war ja genug da!
Zwischen Schmalzbroten und Lateinvokabeln riss die Hülle meiner behüteten Kinderwelt langsam immer weiter auf. Es war unvermeidlich. Und ähnlich wie zu meinem Lebensbeginn, als ich eigentlich gar keine Veranlassung empfunden hatte, aus der körperwarmen Wohlkeit der mütterlichen Fruchtblase in die kalte Welt hinausgeboren zu werden, war es auch in dieser Situation schade um den unbekümmerten Segen und die Sorglosigkeit, die ich oft genug im Kindsein gefunden hatte. Die Kindheit war wie eine zweite Hülle, in der ich mein Dasein bis hierher verbracht hatte. Nun zeigte sie langsam Risse.
Geist und Körper begannen immer schneller zu wachsen und es war nur eine Frage der Zeit, wann ich die Eierschale der Kindheit endgültig sprengen würde.
Aus den Schalenresten würde sich in den nächsten Jahren etwas Neues aufrichten. Wer oder was dieser, sich langsam erhebende, neue Mensch genau sein würde, das müsste sich allerdings erst noch erweisen. Zunächst war es ein langer Übergang, ein Zustand der Neuorientierung, der Findung und des Werdens. Jedes Lebewesen macht das auf seine Weise durch und es ist der unweigerliche, natürliche Gang des Lebens. Es war fantastisch und grausam zugleich, in Zeitlupe aus dem Nest zu fallen, um das Fliegen, die Eigenständigkeit, zu erlernen.
Schmalzbrote essend hatte ich natürlich keinerlei Bewusstsein dafür, dass ich begann zu transformieren. Wie eine Schmetterlingsraupe fraß ich mir Substanz an in Vorbereitung auf meine Metamorphose.
Im Tierreich ist die Metamorphose einer der unglaublichsten Vorgänge, die es gibt. Das Paradebeispiel ist hierfür der Schmetterling. Womit ich nicht behaupten möchte, dass ich mich jemals zu der Pracht und Schönheit dieses Insekts entfaltet hätte, aber das Kind, das ich war, begann sich ganz ähnlich wie die Schmetterlingsraupe im Kokon aufzulösen. Was die kleine, vollgefressene Schmetterlingsraupe, die sich zuvor selbst eingesponnen hat, dort vollführt, ist eines der größten Wunder in der Natur. Sie löst sich zu einer Art Zellsuppe auf und daraus bildet sich ein völlig neues Wesen. Dieser Vorgang ist die Metamorphose. Die totale Verwandlung. Als Schmetterling entsteigt sie schließlich ihrer Hülle. Es ist nicht so, dass der Raupe nur zwei Flügel wachsen. Es ist ein komplett neues Wesen, das nach diesem unglaublichen Vorgang dem Kokon entsteigt.
Das Einspinnen übte ich mit der Bettdecke, in die ich mich während meiner kolossalen Schlaforgien einwickelte. Und wenn ich auch nicht zum Schmettterling mutierte, so war die Veränderung an mir doch groß genug. An meinen in die Höhe schießenden Körper begannen Pickel und Schamhaare zu sprießen. Die Hormone begannen ihr Werk und daraus resultierten auch jede Menge Verwirrung und Gemütsschwankungen. In meinem sich erhebenden Verstand begannen die Gedanken weitere Wege zu gehen. Kurz: Alles veränderte sich.
Einer der seltsamsten Vorgänge dabei war es, nun eine Art “Selbstwahrnehmung” zu bekommen. Als Kind hatte ich niemals darüber nachgedacht, wer ich sei. Welches spielende Kind im Sandkasten denkt schon darüber nach? Du patscht einfach dein Förmchen in den Sand, vollkommen ungestört durch jede Selbstreflektion. Welch ein Frieden, nicht wahr?
Nun begann mein Verstand jedoch, die gewaltige Aufgabe in Angriff zu nehmen, sich selbst und die Welt verstehen zu wollen. Hatte ich als Kind noch alles hingenommen, wie es war, meldete sich nun eine Stimme in mir, die hinter die Dinge schauen wollte. Die Horizonte wurden weiter und mein erwachender Blick sammelte alles ein, was dazwischen lag. Mein Hirn wuchs und damit auch seine Fähigkeiten. Ich begann verstehen zu wollen, was dieses Leben und meine eigene Rolle darin ist.
Ich blickte in den Spiegel, sah mir in die Augen und begegnete mir erstmals selbst. Der kindlichen Selbstverständlichkeit beraubt, starrte ich mich eines Abends beim Zähneputzen fragend an. Wer sah mich da an? „Wer bist du?“ fragte mein Blick das Spiegelbild. Erstmals sah ich nicht in voller Selbstverständlichkeit auf mich, sondern durch die Brille des Verstandes. Dieser Moment war die Geburt meines Egos. Genau in dieser Sekunde geschah es. Fortan würde ich nicht mehr einfach sein, was ich war. Nun fing ich an, in meinem Verstand ein Bild von mir selbst zu erschaffen. Ich fing an, mich selbst zu hinterfragen. Das menschliche Hirn ist ein großer Frager. Es will ergründen und begreifen. So sah ich auf meine Erscheinung, die sich im Spiegel die Zähne schrubbte und die Fragen kamen. Fast zeitgleich mit der Selbstwahrnehmung entstand auch die Selbstbewertung. Nach der Frage: “Wer bin ich?” kam gleich: “Bin ich gut so, wie ich bin?” Beides schien miteinander zwangsläufig einherzugehen. Das war der Beginn des gigantischsten aller Umwege. Ein Weg, der uns paradoxer Weise von unserem wahren Selbst wegführt. Der Weg des Egos. Wenngleich ich auch zugegeben will, dass dieser Weg für jedes denkende Wesen unvermeidlich ist. Adam hatte in den Apfel gebissen und deswegen das Paradies verloren.
Der 50jährige Mann, der dies alles heute niederschreibt, würde seinem jugendlichen “Ich” gerne raten, diesen Weg des Ego nicht zu weit zu gehen. “Übertreibe es nicht, mein Junge!”
Als mein eigener weiser Berater würde ich gerne sagen:“Frag nicht soviel! Bleib einfach, was Du bist und immer warst und immer sein wirst. Es gibt eigentlich gar nicht so viel zu fragen. Patsche einfach dein Förmchen in den Sand! Hinterfrage nicht jedes Sandkorn…Es bringt Dich nur vom eigentlichen Weg ab.“
Aber ich weiß auch, dass es natürlich vollkommen sinnlos gewesen wäre, als Geist aus der Zukunft im Spiegel zu erscheinen, denn selbst wenn ein solch schauerliches Kunststück gelingen könnte, so hätte mein junges Ich doch keinerlei Chance gehabt, es zu verstehen. Manche Umwege wollen gegangen sein, denn auf ihren Strecken gibt es Notwendiges zu lernen. Manchmal muss man etwas verlieren, um seinen Wert zu erkennen. Ich verlor also den kindlichen Frieden und kletterte in das Ego hinein wie ein Affe auf einen Baum, weil er glaubt, von da oben eine besssere Aussicht zu haben. Es würde mich Jahrzehnte kosten, um zu lernen, dass alles Gedachte letztlich unwahr ist.
Wenn es gut läuft, hast Du irgendwann davon genug, weil Du begreifst, dass es Dich eigentlich nur um Deinen Seelenfrieden bringt, über Dich selbst nachzudenken. Außerdem ist es einsam auf diesem Baum. Wenn Du das einsiehst, kletterst Du wieder ein gutes Stück runter von Deinem Affenbaum. Wenn Du es noch schaffst, siehst Du ein, dass Du nicht so wichtig bist und hörst auf Dich selbst zu betrachten. Dann kommt der Frieden zurück.
Meine Güte! Wie grenzenlos sollte ich jedoch mich ab diesem Moment verrennen? Ganz wie es meinem dekadenten Wesen als Königssohn entsprach, würde ich auch diese Dinge maßlos und vollkommen übertrieben angehen. Mein Verstand würde ein riesiges Ego hervorbringen. Ein Ego, das versuchen würde das Vergnügen wie Schmalzbrote in sich hineinzuschlingen und am Ende sogar Bücher über sich selbst schreiben würde.
Zunächst stand ich aber erst einmal noch eingeklemmt zwischen Kloschüssel und Waschbecken in unserem winzigen Badezimmer, starrte mich an und fragte mich erstmalig, ob meine Haarfrisur gut aussieht. Das war seine erste Regung.
Eine bunte Mischung an Lehrpersonal bot das Gymnasium in jedem Falle. Das Kollegium bestand aus alten Herren, jungen Damen und allem dazwischen. Und darunter befanden sich fürwahr ein paar drollige und urige Gestalten.
Meine Englischlehrerin, zum Beispiel, war jung und hübsch. Weil sie eine sehr natürliche und freundliche Art hatte, möchten wir sie alle ganz gern. Gottseidank war sie auch unsere Klassenlehrerin. Ich fand, dass sie in ihrem ganzen Wesen eine reine Wohltat war. Mit ihr konnte man auch mal herzhaft lachen. Ein bisschen schwärmten die Jungs in unserer Klasse für sie, glaube ich. Ich selbst war auf jeden Fall auf das angenehmste angetan von ihr. Sie hatte eine gute Balance aus Charme und natürlicher Autorität. Auf diese Weise begeisterte sie uns für die englische Sprache und der Unterricht bei ihr machte richtig Spaß. So ging es also auch.
Auf einem Wandertag, den unsere Klasse zum Oemter Berg unternahm, knutschte sie im Wald heimlich mit einem Abiturienten, der wohl zu Aufsichtszwecken oder von vorne herein aus ganz anderer Absicht bei uns im Bus mitgereist war. Wie es sich letztlich auch verhalten haben mag, auf jeden Fall war er da und nutzte die Gelegenheit, als wir Kinder uns auf dem Spielplatz verteilt hatten. Der junge Mann und unsere Klassenlehrerin müssen sich anscheinend unbeobachtet gefühlt haben und da muss es wohl geschehen sein. „Die haben geknutscht!“ sagte mein Mitschüler Jan lachend zu mir. „Is nich wahr!“ staunten die Anderen. „Doch, ich hab es doch mit meinen eigenen Augen gesehen!“ bestätigte Jan mit überzeugter Miene und von da an lief es wie Lauffeuer von der Rutsche zur Schaukel und zum Kletterturm. In Windeseile wusste es jedes Kind und von da an war es Tuschelthema Nummer Eins auf dem Oemter Berg.
Am nächsten Tag hatte sie einen gewaltigen Knutschfleck an ihrem Hals, den sie ungeschickt mit einem Halstuch zu kaschieren versuchte. Ein richtiger lila Flatschen war das. Da hatte einer kräftig an unserer Lehrerin gesaugt, meine Herren! Als wir sie daraufhin ansprachen, errötete sie und konnte ein entlarvendes Grinsen nicht unterdrücken. „Let’s go on with the lesson! Repeat after me!“ fuhr sie mit gespielter Ernsthaftigkeit fort, aber wir sahen, dass sie ihren roten Kopf und ein ertapptes Lächeln hinter ihrem Englischbuch verbarg. Sie war echt in Ordnung und ein echter, lebendiger Mensch unter den doch teilweise recht klassischen, angestaubten Lehrertypen des Kollegiums.
Unser weißhaariger Sportlehrer war ein Tscheche und von ihm hieß es, er habe auch schon die tschechoslowakische Eishockey-Nationalmannschaft trainiert. Deswegen war Eislaufen ein Thema in unserem Schulsport, neben dem üblichen Geturne und Basketball, der an meiner Schule auch traditionell gerne und angeblich auch erfolgreich gespielt wurde. Für den Sport hatten wir orange Schultrikots mit aufgenähtem Schulwappen. Wir wurden auch in Leichtathletik unterrichtet, was bedeutete, dass der Tscheche uns viele Runden um die Aschenbahn hetzte. Wenn wir also draußen auf dem Sportplatz waren und der Sommer nahte, dann wurden auch die Disziplinen für die Bundesjugendspiele geübt. Schüler meiner Generation kennen das. Schlagball werfen, Weitsprung und 50-Meterlauf. Ich war in allem recht mittelmäßig. So erreichte ich auch immer nur den Trostpreis, die Siegerurkunde, und nicht ein einziges Mal eine Ehrenurkunde, wie die athletischen Jungs und Mädels, aber das war mir eigentlich gut genug, denn es gab auch Schüler, die sich körperlich noch ungeschickter anstellten und gar keine Urkunde erhielten. Ich hatte irgendwas bekommen, war nicht leer ausgegangen und Spaß hatte das alles ja irgendwie auch immer gemacht. Grausam war für mich nur der Schwimmunterricht.
Wenn nur erwähnt wurde, dass Schwimmsachen mitzubringen wären beim nächsten Mal, sank mein Herz schon in die Hose! Und das hatte einen triftigen Grund! Ich war Nichtschwimmer. Ultrapeinlich! Eine Blamage sondergleichen! Somit musste ich mit den anderen 3 Nichtschwimmern im Kinderbecken gymnastische Übungen machen, während die anderen Bahnen schwammen und vom 7,5 Meter Turm sprangen. Das war so megauncool. Welche Schande war es doch im Looserclub mit den Dicken zu sein und mit dem Schwimmbrett im seichten Wasser umherzuplanschen wie ein Baby. Ich schämte mich meines Unvermögens. Scham ist ein schreckliches Gefühl. Am liebsten hätte ich mich im Chlorwasser ersäuft.
Auszug aus dem Kapitel: „Moltke“ – Umwege. Die innere Reise. Eine autobiografische Erzählung von Sven Bost.
Meine Vergangenheit hatte mich eingeholt. Ich stand mit meiner obligatorischen Sporttasche auf der Schulter vor dem altbekannten Gebäude. Nach 15 Jahren kehrte ich wieder an jene Stelle zurück, an der ich mein zweites Leben geschenkt bekommen hatte. Das Alexianer Krankenhaus in Krefeld stand unverändert da. Angrenzend an den schönen Park gab es allerdings inzwischen ein paar neue Gebäude. Es war eine schändliche Heimkehr, denn ich kam nicht nur an einen Ort zurück, den ich für immer hinter mir geglaubt hatte, sondern es bedeutete auch, dass ich zurück in meinem persönlichen Elend war, zurück auf Null.
Nach über zehn Jahren Abstinenz und hartem Kampf gegen Sucht und Depression, nach all meinem Bemühungen und erneutem Scheitern, war ich letztlich doch wieder an diesen Punkt gelangt. Jetzt stand ich vor dem Portal und sah an der vertrauten Fassade hinauf. Der Aufenthalt in der Entgiftung war wieder einmal die letzte und einzige Option. Irgendwie kam es mir so vor, als hätten die letzten 15 Jahre gar nicht stattgefunden. Ich warf meine Zigarettenkippe auf den Boden und trat sie aus.
Damals war ich durch die Nahtoderfahrung geradezu geläutert gewesen. Bilder aus der intensivstation liefen vor mir ab. Und jetzt kam ich wieder zerfleddert hier an, reumütig und erneut gescheitert, und musste zugeben, dass ich auch dieses neu geschenkte Leben letztlich wieder misshandelt und zu wenig wertgeschätzt hatte. Ich hatte das Wunder besudelt und meiner Meinung nach hatte ich keine weitere Gnade zu erwarten.
Das war eine große Niederlage. Und so trat ich diesen Aufenthalt demütig und hoffnungslos an. Ich schritt durch die Schiebetüre an dem Pförtner vorbei und saß mit gesenktem Kopf wenig später neben meiner Tasche vor dem Aufnahmebüro. Es war, als wäre ich in der Zeit zurückgereist.
In den folgenden Tagen spulte sich das wohlbekannte Programm ab, welches ich schon so oft durchlaufen hatte. Dieses Mal war die Scham, den vertrauten Gesichtern des Pflegepersonals wieder unter die Augen treten zu müssen, ungleich größer. Die Schuld, die ich dieses Mal trug, wog schwer, denn ich hatte mir mit dem Geschenk Gottes, dem Wunder meines Lebens, den Arsch abgewischt.
Sobald ich in meinem Krankenhausbett wieder etwas klarer wurde, kam meine Erinnerung an die Gottesanbeterin wieder, und mit der Erinnerung der Liebeskummer, die Sehnsucht und gleichzeitig der Horror. Ich stellte mir ihr perfektes Gesicht vor und den starken, strahlenden Blick darin. Klar, wie Diamanten waren ihre Augen. „Starre die Wände an, bis Deine Augen bluten und denke darüber nach, was Du getan hast!“ hatte sie mir in einer letzten hasserfüllten Email geschrieben. Ich würde genau da hingehören, in die Psychiatrie. Heute denke ich, dass sie selbst sehr gelitten hat und deshalb spritzte dieser Schmerz dauernd aus ihr heraus. Sie gab es weiter, weil sie nicht anders konnte. Welcher ausgeglichene, gesunde Mensch würde so etwas sagen? Ein glücklicher Mensch würde niemanden jemals verletzen. Damals war ich wie ein paralysiertes Häschen, das sich in die Schlange verliebt hatte. Jedes ihrer Worte schlug in meinem Herzen ein, punktgenau wie eine Hightech-Lenkrakete. Der Schaden war verheerend.
Es war ein stechender Schmerz.
Meinen Alltag in der Entgiftung verlebte ich in Trance. Das Hier und Jetzt spielte kaum eine Rolle, weil SIE nicht darin vorkam. Alle anderen Dinge verblassten hinter den Diamantenaugen, die ich ständig vor mir sah. Deswegen empfand ich meine Situation kaum noch dramatisch, denn verglichen mit der absoluten Katastrophe, die in meinem Herzen passiert war, war alles andere lächerlicher Mickey-Maus-Bullshit. Ich starrte tatsächlich die Wände an. Die Vorhänge und Gardinen, die Front der Schrankwand. Meine Gedanken flogen zu ihr und spulten alle Erinnerungen durch. Manchmal war sie früher in andere Rollen geschlüpft, um mich zu testen. Sie hatte mich mit Fake-Accounts angeschrieben, mich mit verstellter Stimme angerufen, um mir in ihrer Maskerade als andere Frau verführerische Angebote zu machen, um zu sehen, ob ich darauf eingehen würde. Eigentlich ganz süß, könnte man heute denken, aber es war nicht süß. Sie lauerte mit der Keule und sammelte Beweise für ihre ewigen Anklagen. Sie war verrückt. Und nun war ich es ebenso.
Abends im Bett sah ich auf die diagonalen, schrägen Lichtquadrate, die von den Scheinwerfern der vorbeifahrenden Autos an der Decke entlanggeschoben wurden. Ich sah das Bild meiner Gottesanbeterin groß über mir schweben. Sie war unwiderstehlich. Absolut. Und das war nicht nur eine Sache ihres Aussehens allein. Sie hatte eine Persönlichkeit, die zu beschreiben, meine schriftstellerischen Fähigkeiten bei weitem überfordert. Wenn ich ganz ehrlich bin, dann habe ich bis heute nicht begriffen, wer zum Teufel sie war…Moment mal….könnte es sein? Wer sagt schon, dass der Teufel ein männliches Wesen ist? Auf jeden Fall hatte sie zwei Gesichter gehabt. Eines war regelrecht bösartig und skrupellos und eiskalt.
Aber dann war da ja auch noch diese wundervolle, natürliche Version von ihr. Dieses Wesen liebte ich, wie ich niemals etwas geliebt hatte. In ganz seltenen Momenten, für ein paar Stunden immer nur, erlaubte sie Kontakt mit diesem, ihrem wahren Selbst. Da war sie sehr süß gewesen, bezaubernd und fröhlich, grinsend und sprühend vor Charme. Sie war das reine Glück, die Sonne, die Schönheit.
Ich spielte mir meine Lieblingsszenen mit ihr in Gedanken immer wieder vor. Sah in ihr Licht, verging darin und dann schief ich im Morgengrauen verzweifelt und erschöpft ein…
Der Entzug lief in zäher, monotoner Zeitlupe ab. Das Leben stand auf „Pause“ und die Tage waren, bis auf wenige Variationsmöglichkeiten, in einem Maße gleich, dass man sie kaum noch wahrnahm. Diese Gleichmäßigkeit der ständigen Wiederholungen galt im Äußeren. Jeder Tag hatte seinen exakten Stundenplan und fand in den immer gleichen Räumlichkeiten statt. Routine. Im Inneren der Patienten tobten jedoch Schlachten. Nicht jeder behauptete sich in ihr. Es gab nach einer Weile meist viele Verluste. Die Leute brachen einfach ab und gingen. Die Gruppe schmolz zu einem Grüppchen und dann kamen neue Leute. Verbrannte und Zerfledderte, vergiftete Menschen wie ich selbst.
Dann sprang ich im Zenit des Entzuges auf und packte wie ein Besessener meine Sachen und lief einfach zur Türe hinaus. Ich lief kraftlos zurück in die weit geöffneten Arme der Sucht. […]
Aus:“Umwege. Die innere Reise.“ Eine autobiografische Erzählung von Sven Bost
Weil alle meine Freunde es auch hatten, holte ich mir in dem altbackenen Kramladen vom Ehepaar Adams ein Fussball-Sammelalbum. Das war ein Heft, in das man Fussball-Klebebilder einkleben konnte. Diese Bildchen waren auf einmal überall. Ich ging zum Kiosk und kaufte für ein paar Pfennige ein kleines Papiertütchen mit Sammelbildern und riss es auf und checkte sofort eifrig, welche Bilder ich nun erstanden hatte. Auf den Rückseiten standen die Nummern der Sammelbilder. Besonders selten waren die goldenen mit den Vereinswappen, die waren aus richtig dicker Goldfolie und wirkten ungeheuer wertvoll. Und was für ein Glück! Tatsächlich tauchte hinter ein paar Bildern, welche üblicherweise die Portraits von Spielern verschiedener Mannschaften zeigten, ein goldener Schimmer auf! Ich kippte diesen besonderen Aufkleber leicht in der Hand hin und her, um den metallischen, gelben Glanz des Goldes zu genießen. Gelblich und leuchtend wanderte der Widerschein über mein rundes, kindliches Gesicht. „Die sind toll!“ fand ich. “Fast wie echtes Gold!” Ähnlich fasziniert hätte nur noch ein Piratenkapitän in eine Schatzkiste starren können. Aber leider war es das Wappen des 1. FC Kaiserslautern: „Möööh! Den hab ich doch schon zweimal!“ Je weiter man in seiner Sammlung fortgeschritten war, desto öfter fand man Doppelte in den Tütchen. Dann bestand nur noch die Chance, mit Freunden zu tauschen.
Der Bäckersjunge zog den Packen seiner “Doppelten” aus der Hosentasche und gespannt schaute ich seinen schwitzigen Kinderhänden zu, wie sie ein Bild nach dem anderen von oben nach unten sortierten. “Das hab ich noch nicht!” sagte ich aufgeregt. Natürlich wollte ich es haben! Am Ende gab ich ihm den goldenen FCK für zwei fehlende Feldspieler von Juventus Turin. Wir hatten ein gutes Geschäft gemacht!
Wir hatten eine Nachbarin, die Karin hieß. Sie war eine dicke, schwarzgelockte Frau vom Typ “Trude Herr”. Sie war laut und derb, aber herzensgut. Karin arbeitete im Bayerwerk. Das war ein riesiges Chemie-Unternehmen am Rande von Uerdingen. Die Anlagen dort waren so weit und groß wie eine Kleinstadt. Eine Stadt aus Rohren, Schloten und riesigen Tanks, aus deren Mitte das riesige “Bayer-Kreuz” leuchtete. Das kreisrunde, weltberühmte Firmenlogo strahlte neonweiß bei Wind und Wetter, bei Tag und Nacht, weit über den Rhein hinaus ins Umland. Genau an diesen ungastlichen Ort fuhr Karin fuhr täglich mit ihrem Mofa. In allen Jahreszeiten und bei jeder Witterungslage knatterte sie eisern und tapfer die Uerdingerstraße hinab in Richtung dieses gespenstigen Riesenwerkes. Sie war lustig anzusehen in ihrer dicken gelben Gummijacke, ihrem „Ostfriesennerz“, wie sie es nannte, und dem knallroten Helm dazu. Sie war eine Arbeiterin, eine Malocherin vor dem Herrn und von einem derben Kaliber, aber sie hatte Ehre und Anstand im Leib, wie es selten zu finden ist. Bei ihr war alles lauter und rauer, aber, Junge, auf sie war Verlass. Ein Mannsweib, gegerbt von Wind und Wetter und sicherlich auch von den Stürmen ihres Lebens, aber mit einem goldenen Kumpelherz im Leibe, das treu und liebend schlug. Mit ihrer ungestümen und lustigen Art tat sie mir und Mami gut. Sie polterte einfach in unser manchmal zu stilles Leben hinein. Sie belebte uns. Und es war gut so.
So nahm sie mich beispielsweise immer mit in die “Grotenburg Kampfbahn“, wie das Heimstadion unserer Krefelder Fussballmannschaft hieß. Immerhin spielte der “FC Bayer 05 Uerdingen e.V.” in der zweiten Liga. An ihrer, vom vielen Arbeiten und Essen, kräftigen Hand ging ich auch an diesem Sonntag mit zum Heimspiel. Im Tross der blauroten Menschen steuerten wir auf das Stadion neben dem Zoo zu. Unsere Nachbarin Karin war laut und polternd wie ein LKW. Und dieser LKW fuhr mit Sprit. In den Stadien war hochprozentiger Alkohol jedoch verboten und so kippte sie sich noch schnell vor den Stadiontoren eine herzhafte 1:2 Doppelkorn-Mischung in der Fantaflasche zusammen. Sie tat es vor meinen Augen und lachte heiser dabei. Sie drehte den Verschluss der Kornflasche auf und dann lief, glucksend und gluckernd, der durchsichtige Alkohol in die gelbe Brause. Sie nahm auch gleich einen kräftigen Schluck, der, nebenbei gesagt, einem gestandenen Seemann alle Ehre gemacht hätte und wischte sich danach den Mund mit dem feisten Handrücken ab. Ein Kanonenweib. Sie schob mich an den Ordnern vorbei in das Gewühle der Tribünen. Sie grüßte unentwegt links und rechts und brüllte dabei ihr Lachen über die vielen Köpfe hinweg. Es war aufregend in das weite Rund der Fußball-Arena zu kommen. Hier waren die Gesänge aus tausenden Kehlen zu hören. Darüber schallte blechern die Ansage des Stadionsprechers:” Der Ball für das heutige Spiel wurde von der Sparkasse Krefeld gespendet!”. Mit großen Augen sah ich auf das Meer der Fahnen. Noch nie hatte ich so viele Menschen auf einem Haufen gesehen! Hier lebte Karin vollkommen auf. Ihre Augen leuchteten nun und das lag nicht am Doppelkorn allein. Das war ihr Leben, es war der Höhepunkt ihrer Woche. Bald liefen die Spieler ein und die Tausenden skandierten ihre Namen wie ein Mann. Dann eröffnete ein schriller Pfiff aus der Trillerpfeife des Schiedsrichters das Spiel. Ab sofort lag eine intensive Spannung in der Luft. Gebannt klebten alle Augen an dem weißen Ball, dem die Spieler in ihren bunten Trikots nachsetzten. Sie krakelte wie ein Kerl, wenn es eine Fehlentscheidung des Schiedsrichters gab oder ein Foul. Sie sprang auf und ab und nahm zwischendurch etwas Kraftstoff aus der Fantaflasche zu sich. Wenn ein gegnerischer Spieler am Boden lag, gröhlte sie mit Vorliebe:“ Tritt nochmal drauf, der zappelt noch!“ und dann lachten die Leute um uns herum. Sie war das Männlichste, was ich jemals erlebt hatte. Potzblitz!
Ich saß, von Karin mit Bayer-Pudelmütze, Schal und Fähnchen komplett in blaurot ausgerüstet, neben ihr auf der damals sogenannten „alten“ Tribüne und wir sprangen und tobten gemeinsam, wenn ein Tor fiel. Schlug der Ball ins gegnerische Netz ein, schrie das ganze Stadion wie mit einer Stimme auf und alles sprang von den Sitzen. Ekstase und Freudentanz! Stolz zeigte sie auf die gegenüberliegende, „neue“ Tribüne, die der ganze Stolz der Grotenburg Kampfbahn war, und vor welcher ihr Sohn eine der wirklich großen Fahnen schwenkte. Ihr Sohn war schon groß, fast erwachsen. „Der Stab ist vier Meter lang!“ brüllte sie mir im Lärm des Stadions zu. Mein kleines Fähnchen konnte da nicht mithalten, aber irgendwie schloss ich das alles in mein Herz: Das kräftige Blau und das satte Rot, das Wappen unseres Vereines. Unten auf dem Grün rannten und spielten, grätschten und passten, die Spieler und wenn eine Spielsituation sich zuspitzte und unsere Mannschaft dem gegnerischen Strafraum gefährlich nahe kam, wenn es im Konter schnell nach vorne ging, dann sprangen die Vordermänner auf, dann musste man auch selbst aufspringen um weiterhin sehen zu können und dann erhöhte sich die Spannung blitzartig. Fast hielt man die Luft an. Jeder Zuschauer war angespannt als stünde er selbst auf dem Platz. Fiebernd, geradezu mit dem eigenen Herzen den Ball schiebend, ersehnte jedermann den Torschuss. Und dann, dann, entlud sich alles, entweder in einem aus tausend Kehlen entweichendem „Ouuuuuhhhhh!“, einem Enttäuschungslaut, wenn der Ball am Kasten vorbei oder in die Arme des Keepers gegangen war, oder aber, wenn der Ball endlich in die quadratischen Schlaufen des Tornetzes einschlug, in einem orgiastischen Gebrüll der Tausenden. Alles hüpfte und tanzte dann vor Erlösung. Arme wurden gen Himmel gestreckt. Augen erstrahlten in ihrem vollen Glanz. Alles brüllte und schrie. Sitznachbarn umarmten sich und in den segensreichen Freudentaumel erklang die Stimme des Stadionsprechers, der den Torschützen und die Spielminute nannte. „Das 2:0 für den F.C. Bayer Uerdingen erzielte in der 72. Minute: Friedhelm Funkel!“ Und dann jubelten sie nochmal! Welche Freude! So ein Fussballspiel im Stadion ist ein Gemeinschaftserlebnis. Nach dem Spiel strömte alles zu den Stadionstoren hinaus und je nach Endergebnis waren wir auf dem Heimweg fröhlich oder niedergeschlagen.
Wir stiegen wenig später sogar von der zweiten Liga in die Bundesliga auf. Dies alles erlebte ich an der Seite von Karin unserer grobschlächtigen Malochernachbarin. Ja, sie war etwas prollig, aber das machte gar nichts aus, denn ohne Zweifel hatte sie ein wunderbare und gute Seele. Eine unfassbare Type. Ihr hätte ich ohne Bedenken mein Herz geliehen.
Sie half meiner Mutter, indem sie mich mal mitnahm, damit Mum auch mal ein paar Minuten für sich hatte. Sie animierte Mutti und schob sie an, damit sie nicht in ihrem Kummer ersoff. Sie brachte uns durch ihre Fröhlichkeit zum Lachen und war uns eine große Hilfe. Diese Frau hatte selbst viel zu kämpfen und trotzdem sah sie unsere Situation und handelte einfach aus tiefster Menschlichkeit heraus. Das war ganz selbstverständlich für sie. Wenn ich heute an sie zurückdenke, dann möchte ich mich fast verneigen, weil ich sehen kann, wie großartig dieser Mensch einfach war. Sie ist nun auch schon lange tot. Leider. Sie war so lustig! Oh mein Gott!
Sie war wohl eher so eine Art Spiegeltrinkerin, die niemals wirklich betrunken wirkte. Aber einmal, da hatte sie ausnahmsweise wirklich mal einen im Kahn. Mutti hatte wohl ein paar Gäste gehabt und es wurde vielleicht ein wenig getrunken, so genau weiß ich es nicht mehr, aber man muss wohl davon ausgehen, denn jedenfalls schaffte Karin es am Ende nicht mehr über den Flur in ihre eigene Wohnung. Vielmehr war sie derbe wie ein Waldarbeiter schnarchend und rücklings ausgestreckt auf dem französischen Doppelbett bei uns eingeschlafen. Später, mitten in der Nacht, schreckte meine Mum auf, denn sie hatte es entsetzlich rumpeln hören. Und als meine Mutter schließlich besorgt heraneilte um nachzusehen was denn geschehen sei, da sah sie eine Szene wie aus einem Klamaukfilm: Die beleibte Nachbarin saß im Kleiderschrank unter einer zusammengestürzten Kleiderstange und begraben von einem Wust Klamotten und staunte verdutzt, denn sie hatte wohl die Türen verwechselt auf ihrem angedachten Toilettengang. Nach einer stillen Sekunde begannen beide Frauen so von Herzen zu lachen, dass es minutenlang durch das ganze Haus schallte. Herrlich!
Karin war der Kumpel, den sich jeder wünscht. Sie wäre durch jedes Feuer für uns gegangen. Sie schenkte mir auch Autogrammkarten von Bayer-Spielern. Einer hieß Jan Mattsson, ein schwedischer Nationalspieler. Der war gut. Ihm zu Ehren entschied ich eines Tages, und frag mich nicht, wie ich darauf kam, meinen Pippimann auf „Jan Mattsson“ zu taufen. Ich kann es heute selbst nicht mehr fassen, aber ich stand tatsächlich in der Badewanne und sah auf meinen rosa Kinderpenis hinab und sagte:” Jan Mattson!” zu ihm. Das war ein guter Penisname fand ich. Als ich das Mutti und Karin erzählte, lachten sie schon wieder!
Weil ich täglich jeden beweglichen Gegenstand auf meinen Wegen umherkickte und wir Kinder quasi ununterbrochen und überall in spontane Fussballduelle verfielen, erschien es nur logisch in einen Fussballverein zu gehen. Und da gab es natürlich nur eine Wahl! Blaurot! Karin hatte durch ihre Arbeit im Bayerwerk Beziehungen und so wurde ich tatsächlich in der E-Jugend des FC Bayer 05 Uerdingen e.V. angemeldet.
Als verweichlichter Muttersohn stand ich nun inmitten eines verwegen Haufens derber Rabauken, die ausnahmslos den Rest meiner Mannschaft bildeten. Sie waren frech, rau und wild. Zwischen den harten Arbeiterkindern nahm ich mich aus wie ein Mädchen. Ich fühlte mich, als stünde ich ixbeinig wie ein frischgebohrenes Rehkitz im Spitzenkleidchen auf dem schlammigen, regennassen Rasen. Ich fühlte mich ganz schön verloren. Was war ich doch für ein zartes Marzipanschweinchen. Für meine feine Künstlerseele war der matschige Fussballplatz vielleicht doch nicht ganz das Richtige. Sie liefen mich einfach über den Haufen, rempelten mich weg, pöbelten und rotzten, das war etwas anderes als meine harmlosen Bolzereien mit den Kumpels von der Stützradgang. Unser Trainer hetzte uns mit seiner Trillerpfeife hin und her über den Platz.
Das Training fand immer auf den Trainingsplätzen am Löschenhofweg statt, im Winter auch in den Sporthallen der Werksfeuerwehr im Bayerwerk. Einmal bei Flutlicht und Schneetreiben bekam ich den alten, mit Wasser und Schlamm vollgesogenen Ball aus nächster Nähe volle Kanne volley in die Fresse. Ich dachte eine Abrissbirne hätte mich getroffen. Die Nase explodierte und mir wurde kurz schwarz vor den Augen. Blutend und matschverschmiert wurde ich ausgewechselt. Gottseidank habe ich nicht geheult, das wäre der absolute Gesichtsverlust gewesen, obwohl es sich ohnehin schon so anfühlte, als hätte ich mein Gesicht gerade in der Tat weggeschossen bekommen, es kribbelte wie ein taubes, eingeschlafenes Bein.
Mein blau-silbern schimmerndes Hummel-Fluchtlichttrikot mit weißem Kragen, langen Ärmeln mit weißer Hose und passenden blauen Stutzen war mein ganzer Stolz. Zumindest sah ich in dieser Montur wenigstens so aus wie ein richtiger Fußballer. Karin und ich waren eines Nachmittags mit der Straßenbahn nach Uerdingen gefahren. Dort, in der Einkaufsstraße, war sie mit mir in ein Sportgeschäft gegangen. Schließlich hatte ich das Trikot angezogen und mich im Spiegel bewundert. Ich weiß noch genau, wie neu das Trikot gerochen hat. Es war ein sehr glücklicher Moment, als ich mich da so sah, erstmals in einem richtigen Spieler-Outfit. Ich sah aus wie die Miniversion der Spieler unserer ersten Mannschaft!
Sogar Fussballschuhe kaufte sie mir. Sie hießen “Franz Beckenbauer”. Franz Beckenbauer war der Fussballgott dieser Zeit! Von ihm hatte ich sogar ein Buch über Fussball. Da waren ganz viele Zeichnungen drin mit gestrichelten Linien, wie man passen und laufen sollte. Es war ein Lehrbuch der Fussballschule.
Obwohl ich Leidenschaft und Unterstüzumg hatte, konnte ich mich wegen meiner zum Teil fast ängstlichen Schüchternheit in der Mannschaft nicht durchsetzen. Mein Talent war vielleicht auch etwas begrenzt. Jedenfalls errang ich mir keine großen Lorbeeren im Verein. Ich ging da ziemlich unter.
Einmal jedoch schoss ich ein Freistoßtor. Es war ein seltener, heroischer Moment. Es war am Löschenhofweg, wo wir trainierten und es muss im Winter gewesen sein, denn es war dunkel und das Flutlicht war an. Irgendwie war ich in Reichweite, als der Freistoß gegeben wurde, normalerweise wäre ich zu schüchtern gewesen, aber nun durfte ich ihn treten. Da lag er nun: Der Ball. Ich sah die Mauer, die von den gegnerischen Jungs gebildet wurde, und dahinter sah ich gerade mal noch die Querlatte. Also wusste ich wo das Tor ungefähr war, den Torwart aber sah ich durch den Winkel überhaupt nicht. Aber ich hatte es ja oft gesehen, wie die großen Helden Freistöße traten, auch auf den Skizzen in meinem Buch von Franz Beckenbauer. Ich sah die gestrichelte Linie einer perfekten Flugbahn vor mir. Ich sah Franz Beckenbauer: Er lächelte mir aufmunternd zu.So nahm ich es mir vor. Ich kniff die Augen zu einem Schlitz zusammen und fixierte den ruhenden Ball. Ich nahm Anlauf und mit aller Inbrunst und Leidenschaft trat ich mit dem Spann und erwischte ihn voll und ideal und er flog in perfekter, gebogener Linie, wie im Buch eingezeichnet, über die Mauer und senkte sich hinter ihr wieder ab. Ich sah nicht, was passierte, sah nicht wie der Torwart den Ball verfehlte, aber ich hörte den Jubel. Ich musste wohl getroffen haben. Sogar die schlimmsten Rabauken und Rotznasen kamen zu mir gerannt. Prinzessin Lilifee hatte einen reingemacht. Wer hätte das gedacht! Das ist meine einzige glorreiche Erinnerung an meine Fussballkarriere in der E2 vom F.C. Bayer 05 Uerdingen e.V. Später wurde ich in die E3 abgeschoben, in die Abwehr. Die E3 war ein Endlager für aussortierte Spieler, dort waren die Unbrauchbaren. Als ich den buckligen und unsportlichen Haufen von schmächtigen, einfältigen und dicken Gestalten sah, hatte ich verstanden und gab meine professionelle Fussballkarriere auf. Es war aber sehr gut das einmal erlebt zu haben. Im vollen Trikot im Flutlicht ein Tor geschossen zu haben! Bei Wind und Wetter um Hütchen gedribbelt zu sein und gelernt zu haben, was ein Dropkick ist und so.
Karins Sohn war schon ein ausgewachsener junger Mann, vielleicht 16 oder 17 Jahre. Ich wusste es nicht genau, aber ich bewunderte ihn. Nicht deswegen, weil er sonntags diese riesige Fahne im Stadion schwenkte, sondern weil er diese naturgemäße Faszination auf mich ausübte, die ein fast erwachsener, großer Junge für so einen kleinen Jungen im Grundschulalter nun einmal hat. Er ging zum Frisör und ließ sich Minipli machen und er hatte so eine tolle Jeansweste mit lauter Aufnähern drauf und ein Mofa. Staunend sah ich mich in seinem Zimmer um. Eine Lichtorgel mit bunt blinkenden Glühbirnen hing an einer Wand voller Poster. Er setzte sich auf das Bett und öffnete eine Zigarrenkiste mit Fussballklebebildern. Sie war randvoll! Es war mir eine Ehre von dem viel älteren Jungen, der schon einen sichtbaren Bartflaum hatte, für einen Moment voll beachtet zu werden. Ich hatte nur einen Batzen Bilder mit einem Gummi drum und es waren nicht viele dabei, die interessant für ihn gewesen wären. In seiner Kiste hatte er sogar welche von den goldenen mit den Vereinswappen. Sie glänzten so wunderbar. Den VFB hatte er dreimal und so gab er mir großzügigerweise tatsächlich ein solch goldenes Klebebild. “Hier. Kannst Du haben!” Was für ein Reichtum und Glücksfall! “Danke!” Ich strahlte ihn an und stellte mir schon vor, wie ich später das neue Bild in den Mittelteil des Albums einkleben würde, wo alle goldenen Aufkleber hingehörten. Wenn es einmal komplett war, würde die Doppelseite in der Heftmitte in vollem Gold erstrahlen! Jetzt hatte ich schon fünf von den Bundesliga-Wappen! Ich war aufgeregt und glücklich darüber.
Und dann war ich noch fasziniert von seinen Schallplatten! Ähnlich wie mein Vater damals, hatte er viele Singles, die ich sehr interessiert ansah. Ich betrachte die bunten Hüllen und las die Schriftzüge darauf von Abba, Kiss, Boney M. und allen möglichen anderen Interpreten, die jetzt in den späten Siebzigerjahren populär waren. Er legte eine Scheibe von ELO auf und die Leuchten der Lichtorgel blinkten im Takt der Musik! Gelb, Grün und Rot. Fast so bunt wie das Ufo, das ich auf der LP von ELO sah.”You gotta slow down! Sweet talking Woman!” Das war so toll! Ich wollte so werden wie er: Wie Udo, der Sohn von Karin. Ich wollte später auch mal eine Lichtorgel und eine Schallplatte von Electric Light Orchestra haben!
Seit der Beerdigung hatte ich Opa Werner nicht mehr gesehen. Jetzt fuhren Mutti und ich im Zug hin, um ihn zu Weihnachten in Frankfurt zu besuchen.
Opa Werner strahlte, als er uns am Frankfurter Hauptbahnhof am Bahnsteig in Empfang nahm. Sein Haar war zwar etwas lichter, aber immer noch schwarz, wie es das Haar meines Vaters gewesen war und so wie auch meine Haare waren. Seine Augen, die sonst auch schon einmal etwas mürrisch dreinblicken konnten, leuchteten auf, als er uns in der Menschenmenge auf dem Bahngleis entdeckte.
Er lebte mit seiner inzwischen vierten Frau und deren Sohn in einem Mietshaus in einem etwas äußeren Stadtteil von Frankfurt. Sie waren alle sehr nett. Abends, nach dem Essen, als alle noch bei einem Glas gemütlich im Wohnzimmer beisammensaßen, kam das Gespräch irgendwie auf das Thema “Märchen” und meiner Mutter kam der Einfall, dass ich ja einmal eines erzählen könnte. Und weil ein guter Abend war, hatte ich auch Lust dazu und so endete ich schließlich vor der rustikalen Schrankwand stehend und erzählte von dort der versammelten Familie ein Märchen aus dem Gedächtnis. Sie hörten mir verzückt und mit glänzenden Augen zu. Ein kleiner Auftritt, den ich genoss. Es war toll, die anerkennenden Blicke zu sehen und wie sie mich anlächelten, weil sie es süß fanden, wie ich kleiner Junge so aufgeweckt erzählte. Es fiel mir leicht, denn solcherlei Dinge blieben mir wie von selbst, mit all ihren Details, im Gedächtnis haften. Irgendwie hatte ich ein gutes Sprachgefühl und einen recht großen Wortschatz für mein Alter. Das hatte ich eindeutig meiner Mutter zu verdanken. Sie erklärte mir jedes Wort, wenn ich danach fragte, und ich baute es dann wie selbstverständlich in meine Sprache ein. So kamen manches Mal Sachen aus meinem Mund, die man einem Kind in meinem Alter nicht unbedingt zugetraut hätte. Ich kam mir deswegen aber nicht oberschlau vor, es war einfach ganz natürlich. Ich war mir dessen nicht bewusst.
Opa saß in seinem Ohrensessel und hielt sein Weinglas in der Hand und sah mit glänzenden Augen auf mich. In seinem naturgemäß eher grimmigen Ganovengesicht machte sich ein Lächeln breit. Er war zufrieden und gerührt. Da stand sein kleiner Enkel, der Sohn seines Sohnes, und erzählte fröhlich, lebendig und wortgewandt eines von Grimms Märchen. “Da kamen sie in einen Wald und wollten Rast machen!” erzählte ich gerade. Jetzt kam gleich meine Lieblingsstelle, wo sie die Räuber aus dem Häuschen im Wald vertrieben! „Die Bremer Stadtmusikanten“ war mein Lieblingsmärchen. Wie diese armen Tiere zusamennhielten und in ihrer Not dann auf köstliche Weise ein so tölpelhaftes Glück hatten, das gefiel mir ungemein. “Der Hund kletterte auf den Esel und dann die Katze auf den Hund und zuoberst setzte sich noch der Hahn drauf!” erzählte ich und ging ganz und gar in der Geschichte auf. “Dann fingen sie an zu singen! Der Esel schrie, der Hund bellte und die Katze miaute und der Hahn krähte!” Bei der Vorstellung dieses Bildes musste ich schon selbst lachen und natürlich steckte das alle an! Wie dumm die Räuber dann die ganze Sache schließlich fehlinterpretierten, das war doch zu komisch. Sie flohen in den Wald, denn sie hielten das Ganze für einen Spuk und ein Gespenst. Das war einfach großartig! Deswegen hatte ich meine Eltern immer wieder gebeten, mir dieses Märchen vorzulesen. Die vom Hof gejagten Underdogs stolperten in ihr Glück und besiegten sogar die bösen Räuber! Ich erinnere mich, wie meine Eltern abwechselnd an der Bettkante gesessen hatten mit einer Taschhenbuchausgabe von Grimms Märchen aus dem Rowohlt-Verlag. Immer schlossen sie mit den Zeilen: „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Und wer dies Märchen erzählt hat, dem ist der Mund noch warm…“ Und so schloss ich auch meine Erzählung vor der Schrankwand mit diesen Worten und verneigte mich sogar ein bisschen. Alle waren sehr angetan und wir hatten einen wirklich guten Familienmoment, der uns allen gut tat. Diese Momente waren selten und deswegen so köstlich.
Mein Opa war viel netter als es sein Aussehen auf den ersten Blick vermuten ließ. Er hätte ohne Schminke in jedem Gansterfilm der dreißiger Jahre mitspielen können, als ein Gefolgsmann von Al Capone oder so. Ich habe ein paar seiner Gesichtszüge geerbt, wie ich heute als erwachsener Mann feststellen kann. Diese lange, faltige Stirn mit den tiefen Augenbrauen darunter, unter denen aus den Augenhöhlen ein dunkel funkelnder Blick hervorsticht. Dazu die markante Nase und das flache Kinn. Ideal ergänzt durch einen gezogenen Revolver und einen Nadelstreifenanzug. Ja, er hätte den perfekten Mörder abgegeben und auch ich mache mir manchmal selber Angst, wenn ich vor dem Spiegel übe, ernst zu schauen.
Als ich Opa Werner das erste Mal kennenlernte, hatte er noch eine Kneipe in Frankfurt betrieben und eine andere Frau an seiner Seite gehabt. Es war so eine typische altmodische Frankfurter Eckkneipe gewesen, mit gelben Bleiglasfenstern und einem Interieur aus dunkelbraunem poliertem Holz. Damals hatte mein Vater noch gelebt. Claus Dieter hatte mich auf den Schultern in das kleine Lokal getragen. Damals war ich noch so winzig, dass ich kaum eine Erinnerung daran habe. Ich entsinne mich jedoch an den strengen Biergeruch im Schankraum und dass mir Opa ein „Ei im Glas“ gemacht hat, was nichts weiter war als ein weichgekochtes, gepelltes Ei in einem Glas. Ich fand es trotzdem fabelhaft. Und aß gleich noch ein zweites! Opa Werner hatte mich damals mitnehmen wollen, zum Stadion der Frankfurter Eintracht, aber wir waren nicht hineingekommen, vielleicht war es ausverkauft, oder es kann auch sein, dass ich noch zu klein war, um eingelassen zu werden. Ich erinnere mich schemenhaft an das Gebrüll der Menschen, das wir von außen aus dem Inneren des Stadions hörten. Ich sah sogar Mützen in die Luft fliegen. Die Eintracht musste wohl ein Tor gemacht haben! Jedenfalls existiert ein Bild von mir mit Eintracht Frankfurt Wimpel in der Hand und Eintracht Frankfurt Käppi auf dem Kopf. Werner hatte wohl das gesparte Geld für den Eintritt in Fanartikel für mich investiert. Da muss ich so ungefähr 2 oder 3 Jahre alt gewesen sein. Mehr weiß ich von dieser ersten Begegnung nicht mehr. Die zweite war, soweit ich es weiß, bei der Beerdigung von Papa.
Und nun sahen wir uns also ein drittes Mal. Opa Werner arbeitete inzwischen in der Druckerei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Ich erinnere mich, wie er mich nun mitnahm in die große Halle, wo es nach Druckerschwärze, Metall und Papier roch und die Zeitungen in aberwitzigen Bahnen, zu klackernden und stampfenden Geräuschen, unter der hohen Decke in unendlich langer Bahn durch die Gegend sausten. Druckereien kannte ich ja schon von Papi, aber diese hier war viel größer! Ich bekam ein paar Werbegeschenke der FAZ, also Briefbeschwerer, Kugelschreiber und Flaschenöffner und so. Stolz zeigte er mich seinen Kollegen und mir seinen Arbeitsplatz. Er war bester Laune und kaufte mir im Anschluss an diesen Besuch in einem Zoogeschäft einen gelbgrünen Wellensittich, den ich in einer Pappschachtel mitnehmen durfte und den ich „Bibo“ taufte. Denn “Bibo” war ein Vogelname. Den kannte ich aus der Sesamstrasse. Da gab es einen großen gelben Vogel, der auch so hieß. Seltsamerweise habe ich noch ein weiteres Bild von Opa Werner im Kopf. Ich sehe ihn nach oben schauen. Wir waren in der Tiefgarage und gingen durch die unterirdischen Betonhallen voller Autos. Durch ein Entlüftungsgitter fiel Sonnenlicht von oben herein und Opa Werner stand darunter und sah sehr interessiert nach oben. Dort oben stand eine Dame im Rock.
Nachbarin Karin hielt solange in Krefeld-Bockum die Stellung und sah nach dem Rechten. Am Telefon erfuhr meine Mutter, dass der Vermieter Eigenbedarf angemeldet hatte. Das bedeutete, dass wir unsere Wohnung in Krefeld-Bockum räumen mussten. Das war keine gute Nachricht. Davon etwas bedrückt, aber auch mit ein paar sehr schönen Erinnerungen und vielen Weihnachtsgeschenken im Gepäck verabschiedeten wir uns im Frankfurter Bahnhof von Opa, der uns formvollendet bis auf den Bahnsteig begleitet hatte. Wir sagten uns im Lärm der weiten Bahnhofshalle Lebwohl, ohne zu ahnen, dass es für immer war.
Wir besuchten ein zweites Ayahuasca-Ritual in Krefeld. Vielleicht konnte uns das ja helfen. Dieses Mal fand es in den Räumlichkeiten einer Krav Maga Schule statt, gar nicht weit von der Bogenstraße. An diesem Gebäude war ich immer vorbeigestiefelt, wenn ich am Ende der Achtziger aufgestylt in die City gewackelt war, als stolzer Bravo-Posterboy. Jetzt, ungefähr 25 Jahre später, kam ich als ein ganz anderer Mensch an diesen Ort zurück. Wir betraten einen großen, leeren Raum. Es waren nur eine handvoll Leute da. Alles wartete, denn die „Schamanen“, die ja ständig in der Welt umherreisten, steckten wohl noch irgendwo im Verkehr.
Mit stundenlanger Verspätung erschienen sie dann. Eine Amerikanerin und ein Franzose. Nachdem wir die einleitenden Worte gehört hatten, nahmen wir schließlich den Lianensud zu uns, ein Gebräu aus verschiedenen Pflanzen. Wieder, wie schon beim ersten Mal, erklang leise die Musik und wieder zuckten ein paar wenige Kerzen in der Mitte der dunklen Halle. Nebeneinander in dem großen Raum mit ihren Matten aufgereiht, saßen oder lagen die Leute in Erwartung des Erlebnisses. Die beiden Schamanen, wenn man sie so überhaupt nennen kann, also die beiden Menschen, die das Ayahuasca mitgebracht hatten und uns nun betreuten, kümmerten sich um jeden Einzelnen, kamen auch zu mir und meiner Begleiterin und sahen und spürten nach, ob alles gut sei. Sie waren sehr liebevoll und aufmerksam.
Es war eine gute und fast feierliche Stimmung. Das Kerzenlicht warf große, zuckende Schatten in den weiten Raum hinter uns und langsam begann sich meine Wahrnehmung zu verändern.
Einer der Schamanen, ein französischer Tänzer, der dieses Mal mit auf die “Reise” gegangen war und selbst den Trank zu sich genommen hatte, tanzte und sprang durch den Raum, sein Umriss verwischte und bald ich sah ihn als Condor fliegen und dann überspülte mich eine innere Bilderflut, so reich, so überbordend, so sprudelnd und in so schneller Folge, dass es meine Aufnahmekapazität zu überfordern drohte. Kaleidoskopartig und kaskadierend stoben Bilder, Farben und Formen in einer überreichen Fontäne vor mir in die Höhe. Wie ein Geysir schossen milliarden Einzelbilder der größten Unterschiedlichkeit aus dem Nichts auf mich zu. Es war, als zeigte sich die Quelle des Seins, des Lebens und ich empfand als bedeute es so etwas wie:“ Sieh hier, das bin ich!“ Sie zeigte sich. Unendliche Vielfalt, ungezählte Facetten, Aspekte und Farben und Formen barsten und glitzerten, sprühten und explodierten und kamen mir in ewigen Ketten und Abfolgen entgegen. Muster, Gesichter, Landschaften, Planeten, alles was man sich vorstellen kann und alles was man sich nicht vorstellen kann, strömte unaufhaltsam auf mich ein. Es war unbegrenzt und mir wurde demonstriert, was Unbegrenztheit überhaupt ist. Es ist in jedem Fall mehr als Du fassen kannst. Die Enge meines Denkens und Wesens wurde aufgerissen und die Größe und Weite offenbarte sich. Das war die höchste Ursache. Der Urknall. Die ewige Explosion des Seins, die sich in das Nichts ergoss, und dabei immerwährend alles erschuf. Unbegrenzte Kreativität, Schaffenskraft und Macht überschwemmte mich. In jeder Millisekunde entstand aus ihr alles neu. Sie schöpfte aus dem Absoluten, der unendlichen Fülle, ohne sich Sorgen über eine Begrenztheit der Ressourcen machen zu müssen. Sie selbst war die Majestät allen Seins. Verschwenderisch konnte sie sein, denn sie war unendlich und ewig. Es platzte und eruptierte und strahlte aus ihr heraus, so aberwitzig schnell, dass ich es nicht fassen konnte. Ich wurde überspült und weggeschwemmt. Alles was es jemals gab, war aus ihr gekommen und es kam immerwährend in jedem Augenblick unbegrenzt aus ihr hervor. Für alle Zeit wird alles aus ihr kommen, alle Formen und jede Energie, jeder Moment in allen Aspekten. Und ich begriff, dass meine innere Bilderflut nie meine eigene Fantasie gewesen war, sondern dass ich und das Alle mit ihr, der Quelle, verbunden sind. Alles was ich mir vorstelle, alles was ich denke, alles, was überhaupt kommt, kommt von ihr. Sie ist es. Jede Kunst, jeder Gedanke, jeder Grashalm und Atemzug. Sie hat uns und alles, was ist geschaffen und fortwährend schafft sie es neu. Sie war die Existenz.
Mit Freude, mit Liebe, ergoss sie sich in die Schwärze des Alls. Sie schoss in einem immerwährenden Diamentenregen empor und in jedem einzelnen dieser Milliarden Diamanten waren unzählige Facetten und in jeder dieser Facetten glitzerten in jeder Millisekunde die unendlichen Aspekte des Seins. Ich saß davor wie ein Kleinkind, das überschüttet wurde, mit Segen, mit Licht, mit Vielfalt und Unendlichkeit. Wow, was für ein Spektakel!
Ich war nur eine kleine Seifenblase, durch die sie sich ausdrückte, sowie sie sich schon durch unendlich viele Seifenblasen und Funken vor mir ausgedrückt hatte. Mein Momentum war winzig in dieser ewigen Pracht und das schrumpfte mein Ego wohltuend auf ein Minimum ein. Es war so erleichternd nicht wichtig zu sein. Sie ist nicht meine Idee, ich bin ihre. Das Leben, die Schaffenskraft, die Energie durchströmt alles. Ich sah die Geburt, den Ursprung, die Quelle, den Anfang jeder Regung. Den Impuls der Impulse. Ihre Majestät: Die Schöpfung! Das Sein!
Als dies verstanden war, verblasste der Diamantenregen und ich kam in den Raum zurück und sah auf meine Geliebte. Zusammengekauert saß sie neben mir. Ich dachte: “Es mag ihr vielleicht schlecht gehen…” und so legte ich meine Hand auf ihren Rücken um ihr zu signalisieren, dass ich da bin, dass ich sie unterstütze. Wie eine zusätzliche Wurzel und Stütze sollte meine Hand sein. Aber ich spürte sogleich, dass dies nicht ankam. Sie war unendlich fern, in ihrem eigenen Lebenskampf, auf ihrem eigenen Weg. Ich spürte keine Verbindung, vieles an ihr war einfach fremd und würde es bleiben. Das war schade. Ich wäre wirklich gerne mit ihr fusioniert und eins geworden.
Nachdem ich meine Hand lange auf ihre Lendenwirbelsäule gelegt hatte und ich spürte, dass es ihr nicht half, dass da keine Energie floss, nahm ich die Hand zurück und kam wieder in der Aufmerksamkeit zu mir selbst. Nun, da sich die Quelle gezeigt hatte, da sie sich mir quasi vorgestellt hatte und ich sie hatte erkennen dürfen, begann ein neuer Abschnitt der Erfahrung.
Der Mann neben mir, den ich auch aus alten Tagen kannte, hatte irgendwie Probleme. Er machte wohl eine harte Erfahrung. Die Schamanen merkten es und kamen zu ihm. Die Szene war wunderschön. Im schwachen, flackernden Schein der Kerzen sah ich, wie sie ihn in die Mitte nahmen. Sie umarmten ihn von vorne und von hinten. Hockten sich zu ihm und gaben ihm Sicherheit und Liebe. Dann schlug einer von ihnen die Klangschale und die reine Frequenz klang klar durch den Raum und es tat sehr gut. Nach einem gewissen Moment war er wieder okay.
Diese Szene war ähnlich schön, wie jene damals aus dem Pfadfinderhäuschen, als ich sehen durfte, wie liebevoll die Pflegerin meinen kranken Freund betreut hatte. Wieder sah ich diese Anmut darin und spürte diese Liebe auch in mir. Die Liebe leuchtete in mir auf. Ich nahm es wahr, wie eine innere Gestalt, eine Art Lichtkörper, wobei diese visuelle Beschreibung nur ein Bild ist für eine Wahrnehmung, die nicht unbedingt in dem Sinne „sichtbar“ war. Es war ein empfundenes Wissen, eine gegebene Wahrheit, eine zutiefst innere Erfahrung. Es war etwas sehr Edles und Anmutiges, ja wenn es nicht so vermessen klingen würde, würde ich sagen, etwas Heiliges. Ich sah mein Inneres, man kann sagen, ich sah die Seele, ich sah göttliches Licht. Ich nahm es überdeutlich wahr. Es erfüllte mich. Ein wunderbares Gefühl ging damit einher. Es war friedlich, warm, ruhig und erhaben. Mein Verstand versucht in dieser bildhaften Sprache die bestmöglichen Worte dafür zu finden, ich hoffe sehr, dass Du es erahnen kannst. Was ich erlebte war wahrhaftig. Da war eine von jedem Zweifel enthobene Klarheit. Es war keine Visualisierung einer Egovorstellung, keine Spekulation oder Projektion des Geistes oder Sichtbarwerdung des Unterbewußten. Ich war in dem vollen Bewusstsein die Wahrheit zu erfahren. Während wir sonst eigentlich immer nur raten in unseren Gedankengängen, so war dies jedoch eine unverschleierte, echte Erfahrung. Es gibt solche Momente im Leben, da weißt Du einfach, wenn etwas wahr ist, du spürst sehr genau, wenn Du etwas Essenzielles erfährst. Es ist kein Glauben, kein Wunsch, keine Überzeugung. Es ist eine Berührung mit der Wahrheit
Es gab etwas unglaublich Schönes in mir und diese Wahrnehmung war jenseits jeder Eitelkeit. Nicht, dass dies mein Verdienst gewesen wäre oder ein Grund zum Stolz oder gar zur Überheblichkeit, nein, es war weit entfernt von jeder Bewertung, es war einfach nur wahre Schönheit und Liebe. Es war edel und erhaben, von absoluter Reinheit und freundlicher Güte: Mein Lebenslicht. Ich sah und spürte meine Seele so klar wie nie zuvor. Die Seele ist dieser Funken göttlichen Lichtes in uns, der Kern des Lebens, der Liebe ist.
Mit Hilfe des Ayahuasca sah sie fast visuell, aber vielmehr nahm ich sie wahr, war ich mir ihrer bewusst. Es war, als würde mir die Quelle, nachdem sie sich selbst vorgestellt hatte, mir nun zeigen, wer oder was ich in der Essenz wirklich war. Als wäre dies der zweite Teil meiner heutige Lektion. Es war solch ein Geschenk. Zweifel oder Irrtum waren vollkommen ausgeschlossen, denn diese Dinge, wie Verwirrung und Irritation, finden auf der Ebene des Verstandes und der Person statt. Aber da war ich jetzt nicht. Die Personen, die wir sind, sind wie Hüllen, wie Körper. Was ich jetzt sah, war der lichtvolle Inhalt im Inneren. Das war keine Frage. Es war nur Wahrnehmung. Ein Schauen.
Auf dieser Ebene war und ist Frieden. Es war wunderschön. Ich stand auf und ging in meine Decke gehüllt umher, ging nach draußen auf einen kleinen Hof und sah in den Sternenhimmel und es gab nur diesen Moment gedankenlosen Wissens. Es war alles klar, ohne dass ich es aussprechen oder in Worte fassen könnte. Das Universum und ich waren im Frieden.
In diesem Augenblick war ich absolut frei und sorglos. Es war kein hysterisches, orgastisches Glücksgefühl, sondern ein allumfassender, ruhiger, endloser Frieden. Alles war gut. Ich war am Ziel, zuhause, bei mir.
Irgendwann dämmerte der Morgen und langsam kamen alle von ihren Reisen zurück und wir wurden wieder zu Menschen, die in Körpern und Gedanken lebten, aber jeder von uns schien nun etwas wacher, jeder hatte für sich Außerordentliches auf seinem Ausflug erfahren. Die Dame, die mir gegenüber saß, hatte ich im Laufe der Nacht, über den Schein der Kerze hinweg, als alte Indianerseele gesehen, aber nun im Tageslicht, waren wir alle wieder normale Menschen, die zu sich kamen, die wieder in ihre Personen schlüpften, wie in alte Schuhe. Es begann das allgemeine Sammeln und Packen. Isomatten wurden eingerollt, Nummern getauscht. Ich sagte zu dem Franzosen, dass ich ihn als Condor hatte fliegen sehen, als er durch den Raum getanzt war und er sagte auf englisch zu mir, dass dies bemerkenswert sei, da er dabei eine Condorfeder in der Hand gehalten habe.
Im Zwielicht der ewigen Dämmerung, auf weiter grauer Fläche, stand eine Gestalt. Der Wanderer in der Aschewüste war stehengeblieben.
Wie ein Blitz war die Erinnerung über ihn gekommen. Mit einem Mal hatte er sich all dessen erinnert. „All diese Bilder aus diesem Menschenleben…“ murmelte er und der feine Sand rieselte von den Krusten, die sich überall in seinem Gesicht gebildet hatten.
Und mit der Erinnerung war auch der Schmerz zurückgekommen. Er erinnerte sich daran, dass er ein Mensch gewesen war und dass seine Existenz immer auch Leiden bedeutet hatte. „Unabwendbar schien es mit mit dem Dasein einherzukommen…“ sinnierte er.
Und mit der Erinnerung kam sie tatsächlich. Jetzt fühlte er sie wieder aufsteigen: Die fürchterliche Angst, die Zeit seines Lebens immer irgendwo in seinem Eingeweiden gehaust hatte. Dieses aushöhlende Gefühl, hatte mit ihm, durch ihn, in ihm, gelebt und er hatte es nicht loswerden können. Ein Grollen, das aus der Tiefe seines Seins emporgestiegen war, das er nicht hatte ergründen und verstehen können und welches ihn ganz erbärmlich hatte werden lassen. Was war dies nur für ein Rätsel? Wozu hatte er all das erlitten? Leise sprach er in die weite Stille der Wüste hinein: „Es kann doch keine Erfahrung geben, die zu nichts gut ist…“ Und wenn es so war, wie hatte er das verdient? War er in seiner Jugend zu selbstherrlich gewesen? Hatte er für seinen Hochmut bezahlen müssen?
So stand er und spürte deutlich, dass er noch nicht verstanden hatte. Da waren noch Fragen.
Wieso war er eine stetige Verzweiflung geworden? Diese Angst war der Urgrund für alle Verstrickungen, sein Handeln und Nichthandeln im Leben geworden. Dies allein hatte am Ende sein Leben bestimmt.
Oh, wie sehr er auf diese gesamte Erinnerung an sich selbst hätte verzichten können! Mit ihr kam diese bleierne Beschwernis. Selbst hier in der Gräue dieser Zwischenwelt. Es war nicht, dass er es bereute. Es war sein Leben gewesen und er hatte damit getan, was er wollte. In den Augen der Welt hatte er vielleicht versagt, aber das war ihm eigentlich egal. Wer sagte schon, dass das, was die Anderen anstrebten, richtig war? Er war immer frei gewesen seinen eigenen Weg zu gehen.“Immerhin!“ lächelte er sich selber zu und weiterere Sandkrusten fielen von seinen Schläfen ab.
Nein, da gab es nichts zu bereuen. Nur die Tatsache, dass er die meiste Zeit sehr unglücklich gewesen war, dies bereute er schon. Dieses zehrende Leid war anscheinend seine Aufgabe gewesen. Als Linie, als roter Faden, hatte es sich abgebildet. Ein Strang aus Gedankenketten und Emotionen hatte sich darum gewunden. Er hatte sich am Ende selbst für dieses Gebilde gehalten, das sich in ihm ergeben hatte. Dies Gespinst aus all diesen Gedanken rund um seine Angst.
Die Vorstellungen, die er sich über seine eigene Person gemacht hatte und das aus tausend Annahmen zusammengeklebte Weltbild war am Ende zu seinem Selbst geworden. „Habe ich am Ende diese ganze Schwärze selbst erzeugt?“ fragte er sich und stand darüber ratlos in der Unendlichkeit der Aschewüste.
Es war doch immer ein hilfloser Versuch geblieben, sich einen Reim aus all dem machen zu wollen. Eine lebenslang geknüpfte Kette von Überlegungen, die am Ende immer wieder am Anfang herauskam. Der graue Wanderer sah nun, dass er immer im Kreise gegangen war.
So war er zeitlebens geschritten, so hatte es ihn getrieben.
„Eine Flucht!“ murmete er. Sein Leben war eine Flucht gewesen. Eine Flucht im Kreis. „Wie sinnlos…“ dachte es in ihm und er wußte nicht ob er darüber lachen oder weinen sollte.
Er dachte nun, dass er, wie in einem Hamsterrad unglücklich gerannt sei, ohne irgendwohin zu kommen. „Wie ein armer Irrer!“ sprach er aus und sein Blick war unscharf und weit dabei.
Er war durch dies nutzlose „Nicht-vom-Fleck-kommen“ so gequält, dass er am Ende nicht mehr hatte sein wollen. Er hatte sich danach gesehnt, nie gewesen zu sein.
„The sadest thing I’ve ever seen is the boy who wished he’d never been!“ flüsterte er und dabei tat er sich so sehr selber leid, dass eine dicke, heiße Träne über den Staub auf seinen Wagen rann und von seinem Kinn in die Asche zu seinen Füßen tropfte.
„Genug!“ sprach er zu sich und ging wieder weiter, nicht unbedingt, weil er nun hoffte jemals irgendwo anzukommen, sondern schlicht, weil er es gewohnt war. Dabei betrachtete er seine Füße, wie sie Schritt für Schritt, Fuss auf Fuss, weiterstolperten.
Wäre dies der erlösende Wunsch? Wenn er zu Gott, dem Universum, beten würde, dass es ihn niemals gegeben hätte? Wenn es überhaupt nichts jemals gegeben hätte? Dann gäbe es dieses Buch nicht. Es gäbe keinen Schreiber und keinen Leser. Das Universum würde sich selbst löschen. Alles würde sich zu nichts zusammenziehen, sogar die Zeit. Würde er sich trauen dies zu beten? Wäre das nicht, trotz allem, schade? Ihm wurde schwindelig.
Nach tagelangem, tumben Schreiten in der Asche wollte er nun ruhen. Er wollte weder denken, noch gehen. So legte er sich einfach nieder. Jeder Ort war hier gleich, also ließ er sich einfach fallen. Der geringe Sinn schwand ihm schnell und er sank in einen Traum im Traum.
In diesem sah er die Gefolgsleute. Treue Knappen und Ritter. Sie rasteten mit ihm und saßen nun unweit seiner Schlafstelle. Auch ihre bärtigen Gesichter waren mit Asche bedeckt, nur ihre Augen leuchteten heraus. Der Blick des Einen von ihnen traf den seinen. Der Ausdruck in seinen Augen sagte alles. Diese wortlose Wahrheit, die in seinem ehrlichen Blick lag, stach wie ein Schwert in sein Inneres.
Dieser Gefolgsmann war zweifelsohne ein Engel. Wortlos erfuhr er, dass sie nicht eingreifen dürften. Sie konnten nur in der Nähe bleiben. Dieser Marsch war eine Zumutung für sie. Dieser dunkle Ort war nicht ihr Land, ganz im Gegenteil. Sie waren einzig und allein wegen ihm hier, sie wichen nicht. Sie folgten tief in ein Leid, das nicht das ihre war.
Sein himmelblauer Blick drang in ihn, in das Herz des grauen Wanderers. Die Iris des Ritters leuchtete. Es war die erste Farbe, die er seit Jahren sah, fast türkis strahlten seine Augen. Glasklar und ohne Spielraum für Zweifel drang mit seinem Bick seine Energie in ihn. Ohne, dass er der Engel sprach, hörte er ihn:“Wenn Du nur Deinen Kopf erhebst, sind wir an Deiner Seite und werden mit Dir kämpfen! Du musst ihn aber selbst heben. Du musst den Willen aufbringen. Das ist die Bedingung. Dann können wir Dich zurückgeleiten, bevor Du vollkommen erloschen bist! Denn siehe, das Licht in Dir, es ist kaum noch zu sehen, es ist eine winzige Perle nur noch in der Tiefe Deiner Brust. Wenn Du weiter in das Zentrum der Finsternis gehst wird es ganz und gar erlöschen!“
Der Wanderer verstand. An dieser Wahrheit gab es keinen Zweifel. Sie durften und konnten ihn nicht zur Umkehr zwingen. Denn er, der Wanderer, war mit dem freien Willen beschenkt, mit der Freiheit der Seelen. Dieses höchste Geschenk der Selbstbestimmung, verbot es den Rittern, den Engeln, gegen seinen Willen einzugereifen. Dies war Gottes Geschenk und Versprechen. Ein heiliges Gesetz und gleichsam der Preis. Aber sie wären bereit, sobald er es nur wollte. Nur Wollen musste er selbst!
Doch der Wanderer war verblendet und meinte etwas anderes zu wollen: „Weiter zu der Höhle!“ Sie war in seinen Ahnungen erschienen. Und sogleich zum Sehnsuchtsort geworden. In ihr würde er sich endgültig verstecken. Diese eine Höhle, sie zog ihn magisch an. Sie lag verborgen in den Spalten eines Berges, im Zentrum all dieser Finsternis. Dort befand sich, im kühlen Herzen einer riesigen Grotte, der Schrein. Dieser wiederum barg den Stein des Vergessens. Und auch wenn viele Gerippe und Kadaver rings umherlagen, die Warnung waren und kundtaten, dass dies ein Ort des Verderbens war, so war er doch magisch angezogen von ihm, und in ihm brannte das Verlangen und die Sehnsucht nach ihm, dem einen Stein, den zu blicken, alles vergessen machte. Nur dort wollte er hin, den Stein sehen, in seinem Bannkreis sein und alles vergessen, die Welt, ihn selbst und all das Leid. In seliger Trance würde er ihn ansehen und dabei vergehen, vergessen je gewesen zu sein und enden. Ganz und gar und vollkommen. Dieses Nichtsein wäre sein absoluter Frieden.
Dabei ahnte er sehrwohl wer ihn gearbeitet hatte, wer den Stein geschaffen hatte. Widersprach er doch allem Leben. Er diente nur dem einen Zweck: Dem Unsein, der Umkehrung der Schöpfung: Der Vernichtung. Seelen sollte er fangen und binden und auslöschen!
Und so strebte der graue Wanderer in das Zentrum der Dunkelheit und nichts konnte und würde ihn aufhalten. Das gottgeschenkte Leben würde er verraten und ihm entsagen, seine Seele opfern und verbrennen! Mit ihm würde alles enden und es wäre als hätte nichts jemals existiert.
So ging es um Alles. Aber selbst die Engel waren machtlos und folgten ihm in ihren grauen Staubumhängen um zur Stelle zu sein, falls er einen letzten, rettenden, lichten Moment haben würde. „Wenn er sich doch seiner göttlichen Herkunft besönne und der Herrlichkeit des Lichtes. Dann würde er umkehren!“ dachten Engel in ihren schweren Rüstungen. Erst dann könnten sie ihm Hilfe und Schutz bieten. Das war das Gesetz. Du musst den Willen aufbringen. „Wenn Du nur den Kopf hebst, sind wir an Deiner Seite!“ hatte der Engel gesagt und der Wanderer hatte nur allzugut verstanden. Er müsste es wollen und dann wäre hohe Hilfe da. Er müsste nur den Stein loslassen und den Willen aufbringen, dann würde alles wieder gut werden. Fast wollte er es tun, aber dann zögerte er wieder und dachte voller Sehnsucht an den Stein, den einen Stein.
All das flirrte in der Luft zwischen dem Wanderer und dem Engel. Der Wanderer drehte sich weg, wandte sich von dem türkis leuchtenden Blick ab. Er ertrug ihn nicht.
Der Engel hatte recht, das war sonnenklar. Es war die Wahrheit und er wollte sie nicht hören. Wieder wollte er flüchten, diesmal vor dieser Wahrheit und der leisen Stimme in ihm, die sagte, dass der Engel recht hatte und er umkehren könne, wenn er nur wolle. So zog der Wanderer sich wie ein Wurm in embrionaler Haltung zusammen und mochte es alles nicht wahrhaben. Wieder wollte er die Dimension wechseln, indem er versuchte erneut einzuschlafen. Eine weitere Flucht in einen anderen Traum, der schon in einem Traum geträumt war, als hoffte er die Räume solange wechseln zu können, bis er sich das Glück erträumte.
„So kommst Du nicht nach hause!“ dachte der Ritter mit den türkisen Augen und obwohl auch seine Hoffnung sank, konnte er einfach nicht aufhören um ihn zu hoffen.
Aus Umwege. Die innere Reise. Von Sven Bost. Unveröffentlicht.
Was hatte ich mit diesen Loosern zu tun? „Ich bin jawohl noch Herr über mein Leben, wenn ich es will!“ rief ich in Gedanken und war mir sicher, dass dies nie und nimmer die Wahrheit sein konnte. So sollte meine Zukunft doch nicht aussehen.
Nach ca. 2-3 Wochen wurde ich schließlich entlassen. Endlich wieder Freiheit! Ich nahm den Arztbrief entgegen und den sogenannten „Clean-Schein“, ein Dokument, dass ärtzlich bestätigte, dass ich fachgerecht entgiftet war. Manche brauchten das wohl für die Bewährungshife oder so. Für mich war der Zettel uninteressant. Ich schwang die Tasche auf meine Schulter und durfte wieder meiner Wege gehen. Zeitgleich wurde auch ein anderer Junkie entlassen. Nach langen Wochen des Entzuges, standen wir schweigend zusammen an der Bushaltestelle vor dem LKH.
Im Bus fuhren wir noch ein paar Stationen zusammmen und da sagte er zu mir:“Ich fahre direkt zur Platte! Ich hab mir einen Schuss verdient!“ Und ich sah, dass er voller Vorfreude war und selig lächelte. Er hielt sich an einer der Halteschlaufen, die von der Decke hingen, fest und blickte in die Ferne. Vor seinem inneren Auge konsumierte er schon. „Was für ein Schwachmat!“ dachte ich mir. „Wozu dann der ganze Scheiß mit der Entgiftung?“
Es dauerte eine ganze Woche, bis mir in der Stadt ein Freund begegnete. In einer Seitenstraße der Fußgängerzone raunte er mir zu:“Ich hab was!“. Ein Blitz zuckte in meinem Herzen. Es war, als würde man seine Geliebte plötzlich sehen. Und ich hörte mich sagen:“Ich komme mit!“.
In einer Sekunde war mein Vorsatz gefallen. Mit einer spontanen Bewegung ließ ich die Zügel sofort wieder los, die ich gerade mal aufgenommen hatte. Es ging fast automatisch… Und im Parkhaus des Schwanenmarktes, hinter einer Stoßstange kauernd, sog ich wieder den bittermandeligen Qualm von der Aluminiumfolie tief in meine Lungen, hielt die Luft an bis es nicht mehr ging und spürte die warme, weiche Taubheit in mir aufsteigen. Ein besonderes Erlebnis wenn man sauber ist, also abgekickt hat, wie die Junkies sagen. Dann kann man diesen Moment bessonders deutlich erleben. Ich fiel rückwärts in weiche Watte, fühlte wie die Dumpfheit und Betäubung mich, wie eine Wolke, auffing und wie die Erlösung in mir golden aufstieg. Soviel zu meinem Widerstand und dem Boot in dem ich saß.
Und so begann das neue Jahr,1996, im Grunde genau so, wie das alte Jahr aufgehört hatte. Nur dass es jetzt langsam immer steiler bergab ging. Der Honeymoon mit dem Heroin war vorbei und es ging in den Ehealltag. Und nun bekam ich auch immer öfter die hässliche Seite zu Gesicht.
Sie zeigte sich, wenn ich morgens verschwitzt aufwachte und es mir nicht gut ging, wenn kein Stoff und kein Geld da waren, und das kam nun immer öfter vor. Dann musste irgendwas passieren. Mein panisches Hirn lief in Gedanken hin und her und suchte nach einer Idee, wie ich zu Geld kommen könnte. Wenigstens 20 Mark um den schlimmsten Affen zu lindern. Innerlich wurde ich dabei weinerlich und verzweifelt. Es war immer so. Du bezahltest den Drogenrausch immer mit dem Gegenteil . So cool und unantastbar ich mich fühlte, wenn ich drauf war, so jämmerlich wurde ich, wenn das Zeug nachließ. Es hatte was von Dr. Jeckel und Mr. Hide.
Ich blickte mich im Zimer um, ob es irgendetwas gab, was ich hätte versetzen können. Aber da war nichts. Und in diesen Augenblicken kam der Verzeiflungskick in mir hoch. Ich heulte wie ein Baby. Wie arm und verloren war ich doch?
Dann kam der Prozess wegen der Einfuhr von Betäubungsmitteln. Die Marlboroschachtel mit dem Koks. Wir erinnern uns. Sie war aus dem Nichts aufgetaucht. Und ich wurde sie nicht mehr los. In erster Instanz wurde ich zu 18 Monaten ohne Bewährung verurteilt, für etwas, was ich nicht getan hatte. Dann ging das ganze in Berufung und somit vor das Landesgericht. Das Landesgericht machte ein Jahr auf Bewährung daraus, was zweifelsfrei besser war, als in den Knast zu gehen. Aber nun durfte ich mir nichts mehr zu Schulden kommen lassen.
Ich war von Richtern bestraft worden, für Zeug, das ich nie besessen hatte, aber inzwischen konnte man es als „ausgleichende Gerechtigkeit“ ansehen.
Wo die Marlboroschachtel mit den 20 Gramm Kokain letztlich hergekommen war, weiß ich bis heute nicht. Ich hatte sie nur einmal gesehen und zwar in dem Moment als der Bulle sie vor mich auf den Tisch geworfen hatte. Ich hatte in Handschellen vor ihm gesessen und wusste gar nicht was abging.
So war ich letztlich gezwungen, es im Namen des Volkes zu akzeptieren, denn meine Unschuld war für die Richter nur eine unglaubwürdige Behauptung.
Wie dumm nur, dass ich inzwischen, in den Monaten die es bis zu den Verhandlungen gedauert hatte, zum Heroinabhängigen mutiert war. Das bedeutete natürlich auch Beschaffungskriminalität. Oft genug war ich inzwischen wirklich mit Drogen über die Landesgrenze gekommen und niemand hatte mich dabei erwischt. Also ging es irgendwie in Ordnung, karmisch gesehen.
Mit dem Zug über Venlo nach Rotterdam, was waren das für abgefuckte Abenteuer? Rotterdam war das Drogenmekka.
Als wir, ein blonder Freund und ich, mit dem Zug ankamen, dauerte es nicht lange und dann liefen sie uns nach. Die Laufjungen der Großdealer. Es war krass in Rotterdam. Wenn Du mit dem Auto kamst, dann haben sie Dich schon an der Autobahnabfahrt mit Autos bedrängt, fuhren dicht neben Dich und machten eindeutige Gesten, dass man folgen sollte, wenn man Drogen suchte. Schwarze und braune Jungs aus fernen Ländern, die davon lebten ihren Dealern Kunden anzubringen. Und davon wimmelte es in Rotterdam.
Also kaum hatten wir das Bahnhofsgebäude verlassen, kamen sie. Aufdringliche Kerle, zum Teil sehr jung. Sie bettelten und drängten, sie versuchten alles. Erst kam einer, dann zwei, und in Minuten lief uns eine ganze Blase nach. Sie waren dreist und lästig und vor allem brachten sie uns in eine unangenehme Lage, denn auffallen wollten wir zu allerletzt. Wir gaben einigen ein bisschen Geld, damit sie abhauten. Aber ständig kamen Neue, wie die Ameisen.
Es waren viele und sie konkurierten. Sie ließen uns nicht in Ruhe, egal wie sehr wir sie anmaulten und dann stritten sie noch untereinander. Wenn Du unterwegs bist um Drogen einzukaufen, willst Du keine solche auffällige Szene. Uns brach also der Schweiß aus, weil eine ganze Traube von Halbwüchsigen um uns herumwimmelte. Und jeder versuchte uns in eine andere Gasse, zu einem anderen Haus zu zerren. Denen musste man erstmal entkommen. Durch Drohungen und kleine Bestechungen gelang es uns irgendwann und wir schlichen uns zu unserer „Adresse“. Also dem Dealer, den mein Kumpel schon kannte und von dem man eine gute Qualität gewohnt war.
In vielen Rotterdamer Wohnungen, hinter roten Ziegelsteinfassaden, wie sie so typisch sind für die niederländischen Häuser, wurden Drogen gehandelt. In einer solchen waren wir nun, etwas zerfleddert, angekommen. Die Dealer liefen mit großen Plastikbeuteln Kokain und Heroin durch die Räume. An verschiedenen Tischen saßen die „Kunden“ und „testeten“.
Das war das normale Geschäftsgebaren. Es war wie auf einem türkischen Bazar, wo man den Tee, die Datteln oder diverse Süßwaren probiert, bevor man eine gewisse Menge davon kauft. Wie die Sommeliers traten die Handlanger der Händler an die Tische und gaben kleine Mengen als „Test“ heraus. Und das bedeutete, dass die Süchtigen, die hier einkauften, nicht etwa daran rochen und nippten, wie an einem feinen Wein. Sie setzten sich an Ort und Stelle einen Druck, oder rauchten etwas von dem Zeug oder snieften, ganz nach Bedarf und Laune.
Versiffte, spärlich möblierte Räume waren das. Aber was darin ablief war extrem. Wer es nicht gesehen hat, kann es sich nicht vorstellen. Und obwohl die Szenerie so abgefucked war, obwohl es so ein dunkler, schlimmer Ort war, freuten wir uns wie die Kinder im Spielwarengeschäft. Mit Herzklopfen waren wir ins „Drugs are us“ gelaufen. Hier waren wir an der Quelle. Hier gab es das Zeug, was man sonst oft stundenlang suchen musste, was uns sonst nur in kleinen Mengen zugänglich war, in rauen Mengen und zu niedrigen Preisen. Einkäuferpreisen. Das Paradies für den Süchtigen.
Ich habe Leute in Unterhosen da sitzen sehen, weil ihnen vom Kokain so heiß geworden war und der Schweiß ihnen in Sturzbächen am Leib hinablief. Andere kackten total ab, hingen regungslos und gebeugt über den Tischen. War man sich handelseinig, wurde die entsprechende Menge abgewogen und man bekam sie in einem Plastikbeutel ausgehändigt. In einem winzigen, dreckigen Klo, stand eine abgefuckte Flasche Speiseöl in der Ecke, damit es besser flutschte, falls man sich seine gepresste Wurst aus Drogen und Plastikfolie, in den After schieben wollte.
Eine gängige Methode um die Drogen möglichst sicher über den Zoll zu bringen. Doch wir entschieden uns für eine andere Alternative. Wir würden den Zoll umgehen. Also war diese unwürdige Qual nicht nötig.
Mit den Drogen in der Tasche verließen wir schließlich wieder das Haus. Nun liefen wir auf Rotterdams Straßen und waren voll beladen. Eine gefährliche Situation. Würden uns jetzt die holländischen Bullen aufgreifen, würden wir tagelang im Gewahrsam landen, die Drogen wären weg, eine saftige Anzeige wäre unumgänglich und obendrein würde man einen Affen schieben in der Zelle. Das wäre das absolute Horrorszenario. Irgendwie war es wie beim Roulette. Alles oder Nichts. Wenn Du es schafftest, hattest Du schlagartig den Wert Deiner Ware vervielfacht und warst, mindestens, den halben Monat aus dem Schneider. So schlichen wir zwei Glücksspieler durch die Gassen zum Hauptbahnhof.
Bald schon kam der Zug nach Venlo. Die Fahrt dauerte eine Weile. Ich war stoned genug um relativ cool zu bleiben. Ich hörte Alice in Chains‘ „Down in a hole“ auf dem Walkman und sah auf die niederländische Landschaft, die hinter dem Zugfenster vorbeiflog.
Irgendwann, es kam mir ewig vor, kam der Zug endlich in Venlo an. Es war inzwischen schon dunkel. Wir gingen um ein paar Ecken, ein paar Straßen entlang, die mein Kumpel genau kannte, und dann huschten wir, mleise schleichend, über Gleise weiter in Richtung Deutschland. Würde man dabei erwischt, würde es garantiert Knast bedeuten.
Im Mondlicht, immer geduckt, ohne ein Wort zu sprechen, schlichen wir, im Rücken der Zollstation, über den Bahndamm. Meinen Beutel mit den Drogen, in die ich mein gesamtes Arbeitslosengeld investiert hatte, hielt ich wegwurfbereit in der schwitzigen Hand. Würde jetzt ein Scheinwerfer angehen oder eine Stimme ertönen, die uns zum Anhalten aufforderte, wäre alles aus. Es würde Jahre im Knast bedeuten. Mein Herz wummerte. Aber nichts geschah. Unbehelligt erreichten wir, nach ein paar hundert Metern, Deutschland.
So stand ich schließlich, umhüllt von schwarzer Nacht, in einer Baumschule in Kaldenkirchen, als dunkle Silouette mit hartem Herzschlag, aber glücklich auf deutscher Seite zu sein, und mein Kumpel tippte die Nummer des Taxiunternehmens in sein Nokia.
Zuhause in meiner Hinterhofsbude lag der Beutel nun auf dem Tisch, und es verstand sich von selbst, dass ich erstmal ne Runde schmiss. Also rauchten wir alle etwas und hingen dann selig, um den schäbigen, alten Fliesentisch. Pearl Jam sangen ihr „Jeremy“ dazu.
Es war ein erhebendes Gefühl, jetzt einen, für meine Umstände, fetten Vorrat zu haben. Dann zeigten mir Freunde, wie ich Bubbles machte. Wir schnitten kleine Stücke Plastikfolie zurecht, legten sie in langen Reihen nebeneinander und gaben kleine Portionen von dem beigen Pulver zu je 20,- Mark darauf. Dann drehte man sie, wie kleine Tropfen zusammen und flämmte das zu zusammengedrehte Ende kurz mit dem Feuerzeug an.
Am nächsten Morgen, schon in der Morgendämmerung, stand ich in der Stadt, nahe der Szene, und die Junkies rissen sich darum, wie die Enten im Park, um die Brotkrumen. In weingen Minuten war alles verkauft, was ich mitgenommen hatte.
Natürlich hatte ich nicht alles mitgenommen, nur einen gewissen Teil. Man musste vorsichtig sein. Der frühe Morgen war ein Schutz, denn die Stadt begann erst ganz langsam zu leben. Die Straßenreinigung fuhr umher und nur die Bäckereien hatten schon geöffnet. Außerdem hätte man die „Bubbles“ im Ernstfall, bei einer Kontrolle durch die Polizei, einfach schlucken können. Deswegen verpackte man die „Konsumeinheiten“, wie die Bullen es nannten, ja auf diese Weise. Und mit etwas Glück wären sie, nachdem sie den Weg durch den Körper gegangen waren, irgendwann vielleicht wieder unverändert zum Vorschein gekommen. Aber um ehrlich zu sein: Das musste ich nie ausprobieren.
Nur, da ich selbst konsumierte und drauf war, bestand die Herausforderung darin, das „Firmenkapital“ nicht komplett für Eigenkonsum zu verballern. Ein Süchtiger ist meistens kein guter Dealer. Er nascht aus der eigenen Tasche, er frisst sich seine eigene Existenzgrundlage weg. Da konnte ich mich natürlich nicht gut beherrschen. Die Freunde quängelten und bettelten, wenn sie wußten, dass du was „auf Tasche“ hast. Da gab ich weichherzig auch hier und da ein Bubble.
Ein hart und schlecht tattoovierter, langhaariger Bilderbuch-Junkie, bleich und spindeldürr sprach mich an:“ Ey, bisse am machen?“ Ich nickte: „Was brauchste?“ Er öffnete seine Hand und hatte einen Zehner und gesammelte Werke Kleingeld, ungefähr 17 Mark. Der Preis war 20,- Mark. Aber er sah entzügig aus. Klar, gab ich ihm den Bubble für das Geld. Und so schwand das Zeug, es zerrann wie Sand zwischen den Fingern. Die Kunst war es nun so konsequent zu sein, dass ich nicht pleite ging, dass ich genug Zeug verkaufte um mindesstens meinen Einsatz herauszuwirtschaften, damit ich im Geschäft blieb. Wer zuviel naschte, verschenkte, usw. ging pleite. Und ein Junkie der pleite ist, hat ein Problem. Ein großes Problem.
Natürlich hatte ich nicht die Selbstdiziplin dauerhaft einen florierenden Handel aufrecht zu erhalten. Mein eigener Konsum stieg stetig und regelmäßig war ich spätestens zur Monatsmitte hin pleite. Ich lernte, dass ein Süchtiger mit seinem Suchtstoff nicht wirklich kontrolliert umgehen kann. Nun, es gab ein paar Typen und auch Frauen, die es scheinbar irgendwie organisiert bekamen, die täglich auf der Szene verkehrten und immer etwas zu verkaufen hatten. Aber ich? Ich war ja nie sehr diszipliniert gewesen und jetzt, da ich süchtig war, umso weniger. Mein Vorrat schmolz wie Eis in der Sonne. Und irgendwann kam dann der Morgen des Horrors. Dann drohte der „Affe“.
Was „Turkey“ ist, was es bedeutet einen „Affen“ zu haben, hatte ich inzwischen am eigenen Leib erfahren. Das sind Begriffe, die Junkies benutzen um den Entzug zu benennen.
Es gab diesen gefürchteten Zeitpunkt, wo Du morgends aufwachst und es ist kein Stoff und kein Geld mehr da. Viele Körperfunktionen waren, solange ich genug Stoff in meinem System hatte, auf angenehme Weise eingedämmt gewesen: Es hatte keinen Schmerz, keinen Hunger, ja nicht einmal Verdauung gegeben. Der Körper war runtergefahren und betäubt gewesen und ich hatte ihn nicht gespürt. Er hätte sich nicht bemerkbar machen können, denn er war ja taub gewesen.
Während ich geschlafen hatte, war das Opiatlevel in meinem System aber abgebaut worden und so erwachte ich in einem gegenteiligen Zustand: Der Körper sendete Alarmsignale. Aus dem seligen, schmerzfreien und unantastbaren Superhelden, war in ein paar Stunden eine jämmerliche und klapprige Figur geworden, die kaum die Kraft hatte, sich aufzurichten.
Die Nase lief und jede Zelle schrie nach neuem Opiat. Wenn Du als Junkie aufs Klo musst ist es schon ein schlechtes Zeichen. Solange Du stoned bist, hat sich die Darmtätigkeit so gut wie eingestellt. Du hattest keinen Hunger gehabt und Du warst seit Tagen nicht auf der Toilette gewesen.
Wenn Dir, an dem Morgen des Affen, der Dünnschiss aus dem Arsch spritzt und alle Knochen klappern und zittern während Du auf der Toilette sitzt, dann weißt Du, dass Du im roten Bereich bist.
Mein Magen zog sich zusammen und ich bekam aus tiefstem Inneren eine fürchterliche Übelkeit und Brechreiz. Während ich noch auf dem Klo saß, würgte ich und bekam diese Kotzhuster, so ein trockenes Bellen aus dem Körper, bei dem sich alles zusammenzog. Ich musste auch öfters nießen. Ich roch meinen Schweißgeruch. Ich stank und war schweißverklebt. Jetzt war Hochalarm, dringend brauchte mein Körper nun Nachschub. Mir war zum Heulen. Alle Schwäche, jeder Schmerz, alles was so schön verdrängt und betäubt gewesen war, flog mir nun um die Ohren. Mein Frieden wurde nun zum Krieg. Ein Zustand höchster Not und größten Elends. Ich bekotzte und beschiss mich. Ich wurde sehr schwach und konnte kaum noch aus den Augen kucken. Alles in mir schlug Alarm und nur eins konnte mir nun noch helfen.
Wenn Du soweit bist, kannst Du kaum noch was tun, vielleicht kannst Du Dich zur Platte schleppen, aber da wird Dir kaum einer helfen, wenn Du kein Geld hast. Also stiehlst Du. Es ist alles scheißegal, alles andere ist vollkommen unwichtig. Zombiemodus. Hinter den tränenden Augen verwischte die Welt. Ich schleppte mich keuchend, hustend und nießend aus der Türe und über die Straße. Rein in den Supermarkt, ein paar Flaschen hochwertigen Alkohol unter die Jacke, zum Türkenkiosk um sie dort zu verticken und dann mit den kleinen Scheinen in der schwitzigen Faust, ab zur Platte. Das Herz raste und trommelte in meiner Brust vor Aufregung, während ich die Bürgersteige stinkend und schwindelig entlang torkelte. Ich fühlte mich, als verlöre ich jeden Moment die Besinnung. Eine grenzenlose Verzweiflung riss mich und ich heulte über mein Elend.
Mit wirklich lezter Kraft hatte ich ein paar Bubbles besorgt. Nun sah ich mich den Inhalt in irgendeiner windstillen Ecke auf einen Fetzen Aluminiumfolie kippen. Mit zittrigen Fingern rollte ich ein Röhrchen und sog gierig den Qualm ein. Ich war wie ein Erfrierender, der sich endlich an einem Feuer wärmen durfte. Dann kam langsam die Wärme, die meine zur Steifheit zusammengefrorenen Glieder löste, dann kam in Sekunden die Erlösung als warme Welle und langsam spürte wie der Frieden aufstieg. Die Panik verschwand, der Schmerz verschwand und wich einem unglaublich leichtem Wohlgefühl. Alles war wieder in bester Ordnung. Ruhe und Frieden.
Naja, und in diesem Stil vergingen die Tage, Wochen und Monate. Ich sank, äußerlich betrachtet, wie ein Stein. Ich selbst merkte es nur dann, wenn ich keinen Stoff hatte und verzweifelt durch die grauen Straßen Krefelds schlich, während ich mich fühlte, wie ein nackter Säugling, der im Rinnstein liegt, der weint und friert und absolut schutzlos ist.
So verging langsam das Jahr 1996. In meinem schäbigen Hinterhofskabuff rauschte ich den tiefen Wasserfall des sozialen Abstiegs hinab. Und so war es nicht weiter verwunderlich, dass ich am Ende des Jahres, aufgrund des justitialen Druckes, der dadurch entstanden war, dass ich hier und da natürlich bei meinen kleinen Ladendiebstählen erwischt wurde, meine erste Therapie antreten musste.
Es war ja nur eine Frage der Zeit, bis irgendein Kaufhausdetektiv einen Zufallstreffer landete, wenn ich täglich durch die Stadt streifte und in den Geschäften Dinge einsteckte, um den täglichen Bedarf zu finanzieren. Ich stand ja schon unter Bewährung und da sah der Richter das Gnaze relativ humorlos und schlug im Namen des deutschen Volkes sein Hämmerchen nieder. Das war im August, glaube ich.
In den Knast musste ich aber nicht. Das deutsche Justizsystem ist jedoch sehr menschenfreundlich und liberal, es gibt einem Suchtkranken die Möglichkeit nach §35 eine qualifizierte Therapie statt einer Haftstrafe zu machen. Der Gesetzgeber sieht, dass die kriminellen Handlungen aufgrund einer Suchterkrankung geschehen und deswegen gibt es diese Chance, dieses Hilfsangebot.
Eine sehr gute Sache. In Russland hätten sie mich wahrscheinlich in ein Arbeitslager gesteckt oder in eine Schlucht geschmissen. Dies war nun meine letzte Gelegenheit der Haft im Gefängnis zu entgehen. Außerdem war dieser Druck, den der Staat nun auf mich ausübte, vielleicht das einzige Mittel, was mich noch erreichen konnte. So war es letztlich nur zu meinem Besten, wenngleich ich das damals beileibe nicht so sehen konnte. Ich hätte gerne einfach in Ruhe weitergemacht. Ich wollte nicht aufhören, aber es sah so aus, dass ich es nun musste. Es ging ja so nicht mehr weiter. Der Süchtige in mir jedoch, fürchtete sich davor. Man wollte mir meine geliebte Droge wegnehmen. Schließlich kam ein Brief und da stand genau das Datum drauf, wann meine Therapie beginnen sollte. Es sollte im Dezember 1996 sein. Noch war es September, noch hatte ich also ein bißchen Zeit meine Sucht auszukosten.
Da nun klar war, dass ich ohnehin eine einjährige Entwöhnung machen musste und danach meine Drogenkarriere für immer beendet sein würde, dachte ich mir, dass ich ja auch mal ausprobieren könne mir einen Druck zu machen. Junkielogik.
Ein unfassbar dummer Schritt. Wir nannten es einen „Knaller“. Spritzen und Nadeln waren mir bis dato ein Greul gewesen, ich konnte da nicht hinkucken und wollte nichts davon sehen oder hören. Ich hatte es den Jungs in meiner Wohnung verboten, , es hatte mich immer angeekelt. Nun aber sank auch dieser Widerstand und wich einer gewissen Neugier.
Einer meiner Kumpel kam gerade aus Rotterdam und sagte, er gäbe mir einen Cocktail aus Heroin und Kokain aus, wenn ich mir einen Knaller machen würde. Ich fand eswie gesagt, eigentlich widerlich, sich selbst zu spritzen, aber mit der Zeit hatte ich wohl meine letzten Skrupel abgebaut.
Also gut. Ein Cocktail, ein Speedball, sollte angeblich ein absoluter Hochgenuss sein. „Okay!“ sagte ich. Ich verwendete eine Insulinspritze und unter genauer Anweisung kochte ich eine kleine Menge Heroin mit ein paar Tropfen Säure auf und verrührte zuletzt das Kokain darin. Alles wurde durch ein Stück Watte in die Spritze aufgezogen und nun musste ich nur noch so geschickt in eine Ader pieksen, dass ich etwas Blut ansaugen konnte. Als der dünne Faden roten Blutes in den Kolben schoss, war dies das Startsignal: Nun konnte ich den Inhalt der Spritze direkt in den Blutkreislauf spritzen. Keine Sekunde später umhüllte mich eine Welle wunderbarer Glückseligkeit, Körper und Gehirn jubilieren, ich tauchte ein in ungekanntes Wohlsein. Eine Erfahrung jenseits dieser Welt.
Ab da habe ich es immer öfter gemacht. Morgens, wenn ich leicht entzügig aufwachte, dann nahm ich meinen Löffel in die Hand und weckte die Jungs, die in Schlafsäcken in den Ecken lagen. Ich trieb die „Miete“ ein. Dafür, dass ich sie hier pennen ließ, gaben sie mir etwas von dem Pülverchen auf meinen Löffel. So kam ich auch über die Tage. Irgendwie ging es letztlich immer. Einen Spritzer Zitrone auf das kleine Häufchen Pulver und ein bißchen Wasser und dann kochte ich mit einem Feuerzeug unter dem Löffel das Zeug, bis es eine braune Soße wurde. Ich warf ein kleines Stück Zigarettenfilterwatte in die Suppe und spießte es mit der Nadelspitze auf und dann zog ich den Kolben auf, klopfte die Luftbläschen raus und dann war ich ready to go. Kurt sang: „I’m half the man i used to be“ und ich suchte eine Vene.
Irgendwann in dieser Zeit, da ich auf der Bahnstraße in diesem Loch wohnte, ja hauste, und auf dem besten Wege war ein ganz gewöhnlicher Volljunkie zu werden, also in die Phase der Transformation in eine noch tiefere Daseinsform, da gab es auch noch Erlebnisse, die wie letzte Funken meines früheren Daseins, als Womanizer und Held des Nachtlebens erschienen. Das passte so gar nicht ins Bild, aber es war so. Ich begriff es selbst nicht.
Da gab es eine wunderschöne Halbkoreanerin mit fabulösen, herrlichen Brüsten. Eine wunderschöne, blutjunge Frau aus einem guten Hause, die, soweit ich weiß, einen Einserschnitt in der Schule hatte und ihrer Freizeit Piano spielte und koreanisches Ballett machte. Also sie war wirklich toll, ein exostisches, intelligentes, gepflegtes Geschoss. Sie hatte diese Mandelaugen. Ich fand, dass sie ein bildschönes Weib war. Ihr Körper war durch das ständige Ballett in optimaler Form, ihre Fesseln und Waden waren stramm und glänzten wie Seide. Mein Gott, sie war unfassbar hübsch und hatte diese idealen, großen, schönen Titten. Brüste wie auf dem Reißbrett entworfen. Ein Hauptgewinn. Solch ein edles Wesen wäre für mich, in meinem versifften Zustand normalerweise unerreichbar gewesen.
Ich dachte eigentlich gar nicht mehr groß an Frauen, denn das Heroin hatte neben diversen anderen Körperfunktionen, auch meine Lust auf Sex abgetötet. Es war mir scheißegal.
Manchmal ist es aber so, dass blitzsaubere Mädchen aus gutem Hause, einen Drang danach haben es mit „Badboys“ zu treiben. Vielleicht um den strengen Eltern etwas auszuwischen, ich weiß es nicht. Jedenfalls muss ich dem lieben Gott dafür danken!
Irgendwie muss es sowas gewesen sein. Jedenfalls steckte in meinem Briefkasten eine schöne Rose und eine Nachricht. Also das kam aus dem Nichts.
Ein sehr seltener und umso köstlicherer Glücksfall. Ein Geschenk des Schicksals. Einmal hat sie mir einen Kuchen gebacken und legte ihn vor dem versifften Tor zu meinem dreckigen Hinterhof ab, weil ich nicht zuhause gewesen war. Ihre süße Tat stand in krassem Widerspruch zu meinem sonstigen Alltag. „Da liegt da so ein Kuchen! Wie sweet ist das denn bitte?“
Irgendwann, als ich besoffen im „Schlachthof“ tanzte, einer Musikkneipe direkt um die Ecke, klingelte mein Handy. Es war noch so ein Nokia, ein Urzeithandy. Das kleine Display leuchtete grünlich auf und da war sie dran. „Warte ich kann Dich nicht verstehen…“ Ich torkelte zwischen verschwitzten Betrunkenen hindurch auf die Straße.
„Hast Du Bock zu mir zu kommen?“ fragte sie. Und ich hatte. Also ging ich nachts zu ihr und warf unterwegs meine Spritze in ein Gebüsch. Ich dachte, das gehört sich nicht mit ner Pumpe in der Tasche zu einem so schönen Mädchen zu gehen. Später habe ich es bereut, dass ich die Spritze weggeworfen hatte, denn sie hatte Koks da.
Also zog ich mir eine fette Nase und dann zogen wir uns aus und vereinigten uns, in völligen, gegenseitigem Einvernehmen. Ich habe es aus vollen Zügen genossen. Sie war zu gut, um wahr zu sein. Wir liebten uns die ganze Nacht. Ich kam, glaube ich, sieben mal, aber wer zählt schon ernsthaft? Wir küssten uns leidenschaftlich. Es lebe das korianische Ballett, es lebe die Völkerverständigung, es leben auchhoch ihre Eltern, die dieses wundervolle Geschöpf gezeugt haben!
Wir wollten am nächsten Morgen mit dem Bus in die Stadt fahren und eine Freundin, die im Sonnenstudio jobte, besuchen. Aber vorher trieben wir es nochmal in der Dusche. Und wie hoch sie ihre Beine spreizen konnte! Ihre Mandelaugen im Dampf der heißen Dusche. Ihre dicken schwarzen Haare, die in ihrem Gesicht klebten, all das war wie in einem Film.
Und so verpassten wir einen Bus nach dem anderen, weil wir uns wieder auszogen, nachdem wir uns gerade angezogen hatten und spontan immer noch eine weitere Nummer anhängten. Es war wundervoll. Sie war einfach so schön, so magnetisch, so sündhaft und verführerisch. Wir kamen nicht voneinander los.
Ich erinnere mich sehr genau daran, wie sie um ihren Mund herum von meinem Bart ganz rot gescheuert war. Wir hatten über Stunden geknuscht.
Und als wir irgendwie dann doch noch, am späten Nachmittag, in dem Sonnenstudio ankamen, sah ich diese Freundin von ihr und sie war auch wunderschön und blutjung. Ich weiß nicht, was in diesen Tagen los war, aber es ergab sich, dass ich, ein paar Tage später, auch in ihrem Bett landete. Das muss sowas, wie eine seltsame Glückssträhne gewesen sein.
Geduscht und gestyled stand ich also nun vor ihrer Tür. Sie öffnete süß und hübsch, wie sie nun mal war. Sie lebte noch bei ihren Eltern und hatte ein Zimmerchen im Souterrain. Ein kleiner, halbdunkler Raum war das. Viel mehr, als ihr antikes Bettgestell und ein großer Kleiderschrank passten gar nicht unbedingt hinein. Also setzte ich mich auf das Bett und dann ging alles wie von selbst. Sie war wirklich schön, fand ich. Ihr Körper war seidig und glatt und ihre Kurven und Linien verliefen stromlinienförmig, als wären sie im Windkanal getestet worden. Auch sie hatte natürlich einen schönen, satten Busen, ohne den es für mich nicht zu gehen schien. Das Mädchen war perfekt. Sündhaft schön. Und so passierte es, dass ich mich in das hübsche Kind verliebte.
Ich pennte bei diversen Freunden auf der Couch und durchforstete die Zeitungen nach einer neuen Bleibe. Ich fühlte keine großartige Reue mehr, jetzt wo alles geklärt war. Ich war mit ihr über die Monate in eine Richtung gedriftet, die am Ende nicht mehr die meine gewesen war. Ich war in jener Nacht, in der sie mich gefragt hatte, ob ich ihr nicht mal einen Antrag machen wolle, aufgewacht und zu mir gekommen. Ab da hatte ich gewußt, dass ich es nicht wollte. Also war es gut so. Ich hätte keine Lüge leben können.
Ich bereue diese Entscheidung nicht einmal heute, obwohl ich genau weiß, wie hart und unwiderbringlich ich von da an abstürtzte. Was mir heute leid tut ist die Art und Weise. Ich hätte mit ihr reden sollen, klar und deutlich. Am besten an dem Morgen, als ich es wußte. Das hätte sie verdient gehabt. Ehrlichkeit. Mein Abgang war reudig, stimmt schon. Ich sprang einfach ab. Hurte rum und nahm wieder Drogen. In dem Sinne benahm ich mich wie ein Bastard. Das war nicht okay. Sorry, Katzenauge. Aber immerhin habe ich ihr ein Leben mit mir erspart und das ist doch auch was wert.
Schließlich fand ich eine Unterkunft auf der Bahnstraße, die eine jener dreckigen Bahnhofsstraßen war, die aussehen, als klebte noch der Ruß der Dampflokomotiven an den gräulich schmutzigen Fassaden. Es war eine laute und vielbefahrene Straße, eine Häuserschlucht, die nichts schönes hatte. Vorne klingelte und schrabbte die Straßenbahn entlang, in dem unablässigen, lärmenden Strom der LKW und Autos und hinten, hinter dem Haus, schoben sich, metallisch kreischend, die bremsenden Eisenbahnzüge vorbei.
Eine der untersten Wohngegenden musste das sein. Laut und dreckig. Die Bewohner waren einfachste Leute, deren missmutige und unfreundliche Gesichter ebenso abweisend aussahen, wie die Trostlosigkeit der Hausfassaden. „Man muss wohl so werden, wenn man hier lebt!“ dachte ich und zog trotzdem ein.
Meine Wohnung war ein Anbau in einem grau-beigen, versifften Hinterhof. Es war genau so assi, wie es sich anhört. Durch ein dreckiges Holztor, ging man auf einen tristen Innenhof, der eine unfassbar frustriende Atmosphäre hatte, weil er von allen Seiten des Lichtes beraubt war, von grau-beigen, rissigen Wänden, die humorlos und hoch in den weißen, verhangenen Himmel stachen.
Ein solcher Hinterhof gehört wohl zu den erbärmlichsten Orten auf dieser Welt, gerade einmal gut genug um dort die Mülltonnen abzustellen oder ein verrostetes Fahrrad.
Der windschiefe Verhau bot drei Räume, aber alle Installationen waren marode, die Badewanne stand unverkleidet auf Holzbalken da, es war alles siffig und dreckig. Aber dadurch, dass der Anbau links und rechts keine direkten Nachbarn hatte und dazu einen eigenen Zugang bot, erschien er mir als ideal. In meiner Fantasie würde ich hier mein ungestörtes Reich haben. Ein Atelier!
Auf diesem Hinterhof, in diesem Bau, wäre ich ungestört. „Da kann man was draus machen!“ dachte ich und außerdem war ich im Zugzwang. So schlug ich ein. „Gemacht!“ sagte ich zu der buckligen Gestalt von Hausmeister, der eine gewaltige Fahne vor sich heratmete.
In dem hintersten Raum legte ich anfangs noch Fliesen, aber dann starben meine Renovierungsbemühungen schnell ab. An einfachen, rollbaren Kleiderstangen hingen meine unzähligen Klamotten, ansonsten hatte ich wenig. Möbel, eigentlich gar keine. Die Küche bestand aus einer Zweier-Kochplatte, einem alten brummenden Kühlschrank und einer versifften Spüle. Ich glaube, dass ich zunächst auf dem Boden im Schlafsack schlief, später gab es dann doch sogar ein Bettgestell mit Matratze.
Es war 1995 und der Startschuss zu meiner Heroinphase. Statt Techno lief nun Grunge. Kurt Kobain statt Sven Väth. Das war eine interessante Metamorphose von der künstlichen, elektronischen Computermusik zu den erdigen, analogen Klangwelten, die durch Saiteninstrumente und echtes Schlagzeug erzeugt wurden. Ein ganz anderes Mindset und Energiefeld. Komplett anderer Planet. Ich wechselte die Kultur. Von der jungen, modernen Technowelt, in der ich wasserstoffperoxidblond herumgesprungen war, in die erdige, schon Jahrzehnte alte Welt der Gitarren, der langen Haare, des Heroins. Nun ließ ich also auch die Haare wachsen und hörte Stone Temple Pilots, Alice in Chains, Nirvana, Smashing Pumpkins usw.
Es gab Sperrmüllmöbel, wenn überhaupt. Manchmal fand ich einen Sessel auf der Straße und zog ihn in die Hütte. Es war auf eine angenehme Weise egal. Irgendwann stand da dieser wirklich üble Kacheltisch zum Rauf- und Runterkurbeln. Immerhin ein Tisch. Auch das war Grunge für mich. Er passte ideal zu den Bierpullen und dem Aschenbecher voller Kippen und den schwarzangekohlten Aluminiumfolie-Streifen.
Aus den Boxen sang Layne Staley seinen kratzigen, langgezogenen Gesang über die harten Gitarrenriffs und wir rauchten Bleche dazu. So beschissen es sich vielleicht ausnimmt, so wunderbar war es! „Wir“ das war eine lockere Meute aus wechselnden Gefolgsleuten, die ich in der Stadt und auf der Szene aufgegabelt hatte, ein paar Gebliebene aus Feierzeiten, darunter der Pole „Bolek“, mit dem ich immer eine Herzensverbindung hatte, weil wir eine tiefe Melancholie in unseren Herzen trugen, die uns verband, weil wir sie im Anderen wiedererkannten. Es gab auch immer ein paar Leute, die mich irgendwie cool fanden und die sich einfach dranhängten. Außerdem ließ ich jeden, der es wollte, bei mir pennen. Ich war so genial easy drauf. Es gibt schwerlich etwas schöneres als das erste Jahr des Heroinkonsums. Ich weiß, dass hört sich krank an und das ist es auch, aber es ist nunmal so. Es gibt noch keine Reue, keine Konsequenzen. Das dicke Ende ahnst Du nicht. Wir waren jung und high. Mehr brauchte es nicht. Ich gebe ehrlich zu, dass ich es geliebt habe.
Die verbeulten Jalousien hingen schief vor dem Fenster und unsere Füße, die in abgeranzten Chucks steckten, lagen auf dem Kacheltisch. Ein paar tiefe Züge von dem Qualm des beigen Pulvers, das bei Erhitzen zu einem braunrötlichem Harz schmolz, und du sankst ruhig, leicht und zufrieden zurück. Nichts auf dieser Welt, in diesem Universum, konnte Dir etwas anhaben.
Es fühlte sich wunderbar frei an. Es gab tatsächlich keinen Anteil von mir, der diese Lage als irgendwie problematisch oder als misslich angesehen hätte. Ich hing mit meinen Buddies und wir machten was wir wollten. Somit war es easy und absolut großartig. Alice in Chains war meine Lieblingsband in dieser Zeit, ich hörte sie ununterbrochen, auch auf meinen Beschaffungsausflügen mit dem Mountainbike zum Dealer oder zur Platte dröhnten sie auf meinem Kopfhörer. Wenn ich heute beispielsweise „Junkhead“ höre, dann bin ich wieder da. Lachend und frei und strample durch die Fußgängerzone.
„What’s your drug of choise? Well what have you got? I don’t go broke, and i do it a lot…“. Wenn ich den Song heute höre, dann weiß ich wie dumm er ist. Damals war es eine Hymne, die ich aus vollem Herzen mitgröhlte und an die ich glaubte. Layne Staley, der Sänger sang mit seiner unglaublichen Stimme alles sehr langgezogen, aber ich liebte gerade diesen Stil.
Irgendwie waren alle Leute, die ich hörte drogensüchtig. Elvis, John Lennon, Dave Gahan. Ich glaube, dass Musik viel mit dem Ausdruck von Emotion zu tun hat. Und uns erreicht, so gaube ich, jene Musik am Besten, die etwas ausdrückt, was wir selbst gut kennen und auch so fühlen. Viele Songs handeln von Liebe. Das kennt fast jeder. Und ich und die Leute um mich herum, die hörten eben diese Musik, eine Musik, die Gebrochenheit ausdrückte, Verzweiflung und Trauer. Deswegen gefiel sie uns, weil wir auch so fühlten, weil sie uns selbst auszudrücken schien. Das wußten wir damals nicht, aber heute kann ich sagen, dass es so war. Wenn Rage against the machine ihren „Bombtrack“ sangen, dann war es auch meine Wut.
Layne Staley würde seinen Junkie-Lifestyle in 2002 mit dem frühen Tod bezahlen und erst 14 Tagen später in seiner Wohnung gefunden werden, nachdem er sich eine Überdosis Heroin und Kokain, einen sogenannten „Speedball“ gedrückt hatte. Dieser Abgang passte ideal zu ihm. Die Fliegen müssen schon an ihm gewesen sein. Er hatte gelitten. Und das tat auch Kurt Cobain, der sich, unweit von seinem Spritzbesteck, den Schädel mit einer Schrotflinte wegballerte. Dave Gahan, der Sänger von Depeche Mode hat seine Drogenphase überlebt, aber auch bei ihm sah es lange nicht gut aus. Als er noch ein glücklicher Junkie war, war er überirdisch cool. Er sang die Songs of Faith and Devotion.
Ich hatte das einmal live gesehen bei einem Open-Air in Hannover. Die Sonne war langsam untergegangen und in den dunkelblauen Spätabendhimmel hatte die Musik zu spielen begonnen. Die ersten atmosphärischen Klänge von „Higher Love“ und er hatte in seinem Glitzersakko, mit langer Mähne und Bart, hinter halbdurchsichtigen Vorhängen begonnen zu singen. Wir, der Pole war auch da, ein paar weitere Freunde, waren durch einen glücklichen Umstand ganz vorne an der Bühne. Das war ein magischer Moment gewesen. „I can taste, more than fell…“ Dave Gahan stand ein paar Meter vor mir und wand sich um seinen Mikrophonständer und der Kerl strahlte, er war glücklich.
Das lief auch bei uns in der Hinterhofsbaracke, wo wir, in Zeitlupe eingefroren, lagen und saßen.
Oder auch die späten Beatles, vornehmlich Abbey Road und Let it be. Und wie ich heute weiß, war John Lennon in dieser Zeit auch drauf. Er schrieb Lieder wie „Cold Turkey“.
Grunge war Heroin, Leid und Selbstmordgedanken. Ich versuchte Layne Staleys unnacharmlich Art des Gesanges mitzusingen, während ich wieder auf den Pedalen stehend, mit karrierter, dreckiger Hose, auf dem Mountainbike durch die Fussgängerzone zum Neumarkt sauste. Ich hatte einen Zwanzigmarkschein in der Hosentasche und mehr musste ich nicht wissen von dieser Welt.
An der Ecke war eine Spielothek, davor war die Szene. Hier hingen immer ein paar Leute rum, die etwas suchten oder vertickten.
In Sekunden hatten Geld und Stoff die Hände getauscht und nun schnell, schnell wieder, mit vor Vorfreude wild klopfendem Herzen zurück auf die Sperrmüll-Couch. Dort saßen wir dann und teilten uns den Stoff auf unsere Alufolien auf und inhalierten und bleierten gemeinsam ab, wurden grau und langsam und froren ein. Innerlich aber badeten wir im Glück. Bolek kackte mit dem Finger in der Nase ab und blieb so für viele Minuten sitzen, während seine Augenlider so unnacharmlich langsam zufielen.
Das war das krasse Gegenteil von der aufgepeitschten Extase in den Technoclubs. Das war das ruhige, stille Dümpeln auf dem Grund, in der Tiefe. Alle Emotionen und Gedanken wurden langsamer, leiser und egal, was auch immer um Dich herum war: Es war alles gut. Ich habe diese ersten Jahre des Heroins sehr genossen. Es würden diese Momente sein, die sich für immer als absolutes Wohlsein in mein Gehirn brennen würden. Dieses Bad in flüssigem Sonnenlicht, fern in der Traumwelt, fern von allem Unbill dieser Welt…Es war die Rückkehr in die Fruchtblase, das schwerelose Schweben in Leichtigkeit. Dahin würde ich später immer wieder zurückwollen, weil es einfach zu gut war. Und das würde mich viele Jahre später oft fast das Leben kosten. Aber das war alles noch fern. Jetzt, im Moment, war es nur gut.
Wir rauchten die Shore von Aluminiumfolie. Am Anfang brauchte es gar nicht viel. Ein paar Züge nur. Ständiges Kommen und Gehen in meiner Bude, es war ein fucking Crackhouse. Es waren immer mindestens 5 Leute bei mir, wir schliefen in Schlafsäcken auf dem Boden.
Irgendwann stellte ich fest, dass einige von ihnen klauten wie die Raben, ich war ja neu im Heroinbusiness und noch völlig blauäugig. Wie immer hatte allen vertraut, schon allein weil es mir viel zu anstrengend war zu misstrauen, und so bezahlte ich nun manch bitteres Lehrgeld, wenn ich feststellte, dass Dinge verschwunden waren.
Es waren aber nicht nur Dinge, die verloren gingen. Auch der Bezug zum Leben, zur Realität, wurde eingebüßt. Und das war ja eigentlich das Wundervolle an der ganzen Sache. Ich konnte wegtauchen aus der Oberfläche der Welt. Die konnte sich ruhig weiterdrehen. Die Tage konnten weiterhin vergehen, während ich wohlig, im warmer, angenehmer Taubheit dahindämmerte. Ich brauchte nichts mehr von der Welt da draußen, ich hatte schon alles, ganz bei mir, in der warmen inneren Höhle. In meiner Abwesenheit fuhr mein Leben natürlich an die Wand, aber das würde ich erst später feststellen.
Vorerst ließ ich alles los und so flog es alles davon, wie Blätter im Wind. Und so flog mein letztes Hab und Gut, in den langen Fingern der Drogenbesessenen zur Türe hinaus. Sie wachten im Morgengrauen schon mit Turkey auf, wurden halbwahnsinnig davon und dann schlichen sie durch meine Bude, fiebrig und schwitzend, und dann griffen sie in ihrer Not, alles was irgendwie zu versilbern war: Cds, Klamotten, meine Spidermanheftsammlung…alles verschwand. Während ich noch im Schlafsack schnarchte und von orientalischen Prinzessinen mit großen Titten träumte.
Eines Morgens kam ich zur „Platte“, wie man die Szene im Jargon nennt, und jeder zweite trug Klamotten von mir. Meine geliebten NHL-Sweater an den versifften Körpern von Junkies und Dealern. Irgendeiner hatte für Stoff meine Klamotten eingetauscht. Er musste am frühen Morgen mit einem Haufen davon aus der Bude geschlichen sein. Der Schuldige war schnell gefunden und ich drosch auf ihn ein, bis er zu Boden ging und er schrie wie ein kleines Kind. Doch was brachte das? Ich holte mir auch ein paar Kleidungsstücke zurück, aber die Zersetzung meines Lebens war nicht aufzuhalten.
Und man mag es glauben oder nicht, aber ich sah es immer noch nicht. Noch fühlte ich mich großteils sehr wohl in meiner Haut.
In der Anfangsphase ist der Heroinrausch ein überragendes Gefühl, das einen frei macht von allerlei Dingen. Ich flog die Straßen entlang in meinem eigenen, amerikanischen Spielfilm. Noch trug mich die Jugend und der Rausch, und die innere Szenerie war schön und lieblich. Ich fühlte mich sauwohl und unendlich cool. Die Haare wurden immer länger und wir schlenderten im T-Shirt und abgemagert im Winter durch die Fußgängerzone. Wir spürten keinen Hunger und auch keine Kälte. Wir fühlten uns wie die späten Beatles. Ein blonder Kumpel von mir hatte sich auch so eine Pilzkopffrisur gezüchtet und er trug einen mächtigen Schnurrbart. Er sah in seinem Trödelmarkt T-Shirt von adidas aus wie der fünfte Beatle, den es nie gegeben hatte. Dieser Style war durch die Bands des Britpop, wie Oasis und Blur, und deren Retroklänge auch teilweise wieder en vouge. Es war so cool ein „stoned Beatle“ zu sein.
So lächelte mich der bleiche Mark, der fünfte Beatle, an. Sein Lächeln war echt, er war glücklich, aber seine winzigen Pupillen, klein zusammengezogen wie Nadelspitzen, kündeten von der Betäubtheit in seinem Inneren, auf der er surfte und die es ihm so leicht machte alles zu genießen. Und da war es egal, dass der Kühlschrank leer war und im siffigen Topf auf der Kochplatte altes Kartoffelpüree klebte. „Lass ma in die Stadt gehn…“ grinste er, denn durch die Rauglasscheibe der Wohnungstüre leuchtete das Sonnenlicht.
Und so waren wir zu der Zeit. Der Weg in die Hölle ist breit und golden. Noch waren keine wirklich schlimmen Dinge passiert, wir fühlten uns unendlich frei und machten was wir wollten und das war zunächst schlicht wundervoll. Die paar Lebensmittel konnte man auch klauen. Angst gab es keine mehr. Und so stahlen wir, was uns in die Finger kam. Die Betäubung des Heroins, die uns diese schleierhafte Leichtigkeit verlieh, nahm uns auch jede Hemmung.
Zu den Klängen meiner im Kaufhaus geklauten Weezer CD, rasierte ich mich nass in dem maroden Badezimmer mit seiner ranzigen Badewanne im Hintergrund. Es war alles ein Grunge-Videoclip. Ich hatte damals nicht die geringste Empfindung, dass die Dinge eventuell falsch liefen und ich sah auch nichts Verwerfliches in meinem Tun. Ich war ein freier Mensch. „Oh yeah, alright, feels good inside…“ summte ich mit, während ich mir die Rasierklinge über den Hals zog…Es war cool. Der Spiegel mit den abgebrochenen Kanten tat es genauso gut wie ein intakter Spiegel. Darin sehe ich mir meine Augen, deren Pupillen kaum noch sichtbar sind, so klein haben sie sich zusammnengezogen. Ein sicheres Zeichen für Heroinkonsum. Ich grinste mich an. Ich fühle mich fantastisch und so hängte noch eine kleine Playbackshow dran, indem ich in den Kamm sang:“ Say it ain’t so….Your drug is a heartbreaker..“
Ne Hose, irgendeine Hose, schnell die Chucks gebunden und ein T-Shirt gegriffen…Deo drüber und dann schwebten wir zur Tür hinaus, ins Sonnenlicht. Wie auf Wolken glitten wir durch die schmutzige Gegend um meine Wohnung herum. Das dreckige Grau der Stadt passte exakt in den Film. Wir schritten, als berührten wir den Boden nicht und so flogen wir zunächst in den nächsten Supermarkt. Der war auf der Phiadelphiastrasse. Dort fraßen wir einfach direkt aus dem Regal, denn wir waren vollkommen unantastbar…Marc grinste, als ich die leergesoffene Müllermilch wieder in das Kühlregal zurückstellte. Wir stopften uns noch ein paar Schokoriegel rein und liefen mampfend durch den Laden. Essen war auch überbewertet, denn auch ein Hungergefühl gab es nicht mehr. Eine Rolle Aluminiumfolie steckte ich mir noch vorne in die Hose, T-Shirt drüber und dann schlurften wir wieder hinaus auf die Straße. Diese herrlich hässliche Stadtstraße mit ihren versifften Fassaden, den Mülltonnen, den parkenden Autos, den Zigarettenstummeln und plattgetretenen Kaugummis. Was für ein Videoclip, was für ein Grungefeeling!
Die Sonnenstrahlen stachen gerade über den Rand der Häuserschlucht, als wir uns, über den Schinkenplatz und die Alte-Linner-Strasse hinweg , smooth und easy, auf den Ostwall zubewegten. Wir überquerten ihn und liefen diagonal, unter Bäumen, dem Neumarkt entgegen. „Like father, stepfather, this song is grounding in the blood“ sang ich leise, denn ich hatte diesen Ohrwurm mit dem Weezersong noch vom Rasieren im Kopf und dies war meine absolute Lieblingsstelle. Und dabei realisierte ich gar nicht, was ich da sang, denn ich hatte es etwas falsch verstanden, so machte es nicht wirklich Sinn. Der richtige Text lautet „Like father, stepfather, this son is drowning in the flood“ und handelt von einem Sohn, der wie der Vater, in der Flut untergeht. Doch auch davon hatte ich damals keine Ahnung.
In der Stadt trafen wir auf die üblichen Verdächtigen. Und schnell fanden wir ein paar Jungs und Mädels, die sich gerne dabei anschlossen, ein paar Bubbles zu besorgen und irgendwo was zu rauchen. Es war alles supereasy und schön. Blutjunge Menschen von jeglicher Last des Lebens befreit.
Für ein wenig Geld, das wir zusammenschmissen, bekamen wir drei Bubbles am Neumarkt. Und mit den rosinengroßen Beutelchen in der schwitzigen Hand gingen wir in das Parkhaus vom Schwanenmarkt, hockten uns hinter ein Auto und verteilten die Streifen Aluminiumfolie untereinander, teilten die Feuerzeuge und Zigartten und atmeten den bitteren Qualm ein, sogen ihn bis zum Anschlag in die Lungenflügel hinab und hielten die Luft an solange es nur ging. Und dann kam er. Der Frieden. Der goldene Frieden.
Im Äußeren mochte ich verwahrlost ausgesehen haben, im Inneren schwebte ich in einem wundervollen und kompletten Gefühl und der Rest war egal. Ja, es war wirklich, wirklich egal aus vollem Herzen. Der Turn von dem Heroin war, als habe man einfach die Pausetaste gedrückt und als schwebte man in einem Zwischenraum der Zeit, schwerelos.
Dieser Zustand war so frei, dass mein Herz wie ein Vogel flog. Auch diese unbewußten Ängste und Plagen in der Tiefe meiner Person verschwanden. Das alles ließ ich einfach los und es machte mich so frei wie noch nie.
Wie unfrei ich jedoch in Wirklichkeit werden würde, sollte ich dann später erfahren. Dieses sorgenfreie Schweben im Hier und Jetzt, würde in der Zukunft teuer bezahlt werden. Aber daran gab es jetzt keinen Gedanken, es war alles zu gut um wahr zu sein. Es war eine absolute Erlösung, der Frieden und die Ruhe vor dem Sturm.
Noch war ich nicht drauf. Das heißt, ich war noch nicht abhängig. Es gab Tage, da nahm ich nichts. Aber diese Tage wurden weniger. Im ersten Jahr habe ich kaum sowas wie Entzug gespürt. Bis der Körper sich so an eine Droge gewöhnt hat, dass er sie regelrecht braucht, dauert es. Deswegen dachte ich, dass es ja gar nicht so schlimm ist.
Ja, man konnte schon beobachten, über die Monate hinweg, dass man eigentlich kaum noch ohne das Zeugs war. Manchmal, ab Mitte des Monats, war einfach kein Geld mehr da. Und dann kam der Tag, an dem ich irgendwann aufwachte, auf der reingeschleppten Kunstledercouch vom Sperrmüll, und mir ging es gar nicht gut. Die Nase lief und mir war irgendwie ganz seltsam, so zitterig und schwach. Ein ungekanntes Elend. Es war kein Zeug da. Kohle hatte ich auch nicht. Was sollte ich tun?
Nun, ein Kumpel zeigte mir, wie er einen 10er Karton Kaffee aus dem Plus Supermarkt am Schinkenplatz klaute. Er lief einfach mit seiner Adidas-Sporttasche hinein und schob einen ganzen Karton aus dem Regal, warf ihn in die Tasche und ging wieder. Die Tasche fest im Griff und bereit zu rennen. Die Kassiererin würde ihn nicht stoppen. „Man muss sich nur überwinden und sich mit der Sporttasche über der Schulter an der Kassererin vorbeiquetschen. Ein bißchen rennen zur Not, falls sie irgendwas sagen sollte.“ erklärte er mir, während ich ihn dabei begleitete. Er war schon länger dabei und schon lange drauf.
Dann ging er ein paar Häuser weiter zum Türkenkiosk und bot den Kaffe für 5 D-Mark pro Packung an. Das war ein guter Preis und der Türke nickte. Dann hatte man 50 Mark und dafür konnte man sich erstmal wieder eindecken. Er gab mir dankenswerterweise einen Bubble ab. Ich war ganz jämmerlich bis ich den erlösenden, tiefen Zug Heroinqualm in meiner Lunge spürte. Und dann war alles wieder cool.
Dass ich abhängig wurde merkte ich trotzdem nur sehr langsam. Aber am Ende des Jahres 1995 stand schließlich meine erste Entgiftung an, im Landeskrankenhaus Süchteln, Station 303.
Du willst natürlich nicht da hin. Ich weiß nicht mehr, warum ich dazu eingewilligte, vielleicht weil meine Mutter mich dazu überredet hatte. Die Kumpel, die sowas schon kannten, erzählten natürlich darüber. „Du bekommst ein paar Tage etwas. Die dosieren Dich ab. Du darfst nicht raus und es gibt strenge Regelnund dann kommt der Affe.“ Na toll. Der Affe war der Entzug, der Turkey. Ich würde eingesperrt und fremdbestimmt sein. Genau das, was ich nicht sein wollte. Aber das schien der Preis zu sein, um von der Abhängigkeit loszukommen. So schmolzen die letzten Tage hin, bis das Datum heranrückte, an dem ich mit gepackter Tasche in die Klinik maschierte.
Das Landeskrankenhaus Süchteln war fast wie eine kleine, eigene Stadt. Viele, große und kleine Gebäude, die alle möglichen Kliniken und Abteilungen beherbergen. In der Mitte gab es sogar eine eigene Kirche. Das Ganze war von einem großen Gelände mit Wald und viel Grün umgeben.
In der Station selbst waren die Zimmer wie in einem gewöhnlichen Krankenhaus. Jedoch war, wie meine Freunde mir schon berichtet hatten, die Station geschlossen. Die Türen gingen, zu meinem eigenen Schutz, hinter mir zu. Jetzt war ich also gefangen.
Es gab einen Aufenthaltsraum mit einer Eckcouch, wo die Patienten meistens auch, zu den Klängen eines Radios, saßen und rauchten. Und dann war da noch eine große Küche mit einer großen Tafel, wo alle Mahlzeiten eingenommen wurden.
Die Atmosphäre hier drin war natürlich nicht die beste. Die Menschen, die hier landeten, waren natürlich alle drogensüchtig und manche waren es schon sehr lange. Hier kam ich eigentlich zum ersten Mal in Kontakt mit richtigen Junkies, Frauen und Männern, die sich das Heroin schon seit Jahren gespritzt hatten und ich sah auch in welchem Zustand die teilweise waren.
Damit hatte ich nichts zu tun, fand ich. Ich war nur ein Typ, der mit seinen Jungs und Mädles ab und zu ein Blech rauchte. Ich war jung und unversehrt. So saß ich da mit ihnen auf der Eckcouch. Ich sah die schlechten Knasttattoos, die schlechten Gebisse und vor allem hörte ich sie sprechen und erzählen. Sie erzählten von ihrer Liebe zu der Droge, von ihren Exzessen und so. Drogen- und Lebensgeschichten. Durch ein nicht zu öffnendes Fenster sah ich auf einen gegenüberliegenden Gebäudeteil und ein paar Baumkronen. Im Radio spielte East 17’s „Thunder“ und neben mir wurden Zigaretten gestopft. Ich stürtzte innerlich ab. Der goldene Segen in dem ich geschwelgt hatte, das warme innere Bett, auf dem meine Seele geruht hatte, das alles verflüchtigte sich und es blieb eine kalte, klare Realität und innerliches Wehklagen.
Wehmütig sah ich in den bedeckten Himmel und lauschte den Gesprächen.
Es gab ein gewisses Programm aus Aktivitäten und Gesprächsgruppen und sowas. Das war eine willkommene Abwechslung, wenn man aus der Station raus durfte, um zum Sport zu gehen. Das Gelände war so weitläufig und groß, dass wir dort regelmäßig, in der Gruppe und unter Beobachtung natürlich, Spaziergänge unternahmen. Es gab sogar eine schöne Strecke den Hügel hinauf, wo das Schwimmbad und die Sporthalle standen. Die Patienten nannten ihn den „Junkie-Hill“.
Nun würde ich also das allererste mal gezielt entziehen. So wurde es jeden Tag schwerer den Hügel hochzulaufen. Als schließlich der Tag kam, an dem ich gar keinen Ersatzstoff mehr bekam, schleppte ich mich wie ein 100jähriger den Weg entlang. Das Leben hatte jede Leichtigkeit verloren. Meine Füße waren schwer wie Gullideckel, die Knochen ächzten, der Schweiß rann und das Herz pumpte. Alles war in Unordnung. Im Tross der Anderen, die in diesem grauen und schneelosen Dezember, den „Junkie-Hill“ hinaufwanderten, lernte ich zum ersten Mal die dunkle Schattenseite kennen, den gnadenlosen Preis, den man für die Leichtigkeit, die Pause, die man sich vom Leben genommen hatte, zahlen musste. Das Leben hatte nun nichts Leichtes mehr. Entzügig im süchtelner Landeskrankenhaus den Berg zur Turnhalle hochzugehen, hatte nichts mehr von dem leichten Gleiten. Ganz im Gegenteil. Es war tatsächlich so, als würde nun alles Gewicht, aller Schmerz, dem ich entgangen war in meiner Abwesenheit vom Leben, nun auf mein Herz und meine Schultern geladen. Ich fiel endlos in die bleierne Schwärze.
Ich lebte also dort mit gestandenen Heroinjunkies zusammen und als wir uns, wie jeden Tag, in unserer Freizeit auf der Eckcouch unterhielten, sagte einer von ihnen zu mir: „Aus dem Boot steigst Du nicht mehr aus!“ Er meinte damit, dass ich das Heroin nie mehr los würde. „Klar!“ sagte ich zu ihm. „Ich werde das einfach nicht mehr machen!“ und zog meine Stirn in widerspenstige Falten. Alle lachten. Jeder von Ihnen kannte sich besser aus als ich. Ich war geschockt und fragte in meiner Irritation eine vorbeigehende Schwester:“Die sagen, ich komm da nie mehr von los. Stimmt das?“ Und zu meinem Entsetzen bestätigte sie mir wie unwahrscheinlich es ist, dass jemand nochmal den Absprung davon schafft.
Sie blieb kurz stehen und erläuterte weiter, dass die Zahlen ungefähr bei 98:2 Prozent liegen würden. Das konnte doch nicht sein. Ich weigerte mich das anzuerkennen. Ich war mir sicher: „Ich mache nun diese Entgiftung und dann ist das Thema erledigt.“
Meiner Freundin hatte ich wohl mittlerweile schon angedeutet, dass ich ihre Heiratsabsichten nicht teilte und somit war eine Unvereinbarkeit unserer Absichten offen zutagegetreten. Das hatte natürlich eine große Enttäuschung bei ihr zur Folge gehabt, die ich nur allzu gut verstand. Ich kam mir schlecht vor, aber ich konnte es nicht ändern. So war ein Graben zwischen uns entstanden und im Grunde hatte damit der Trennungsprozes begonnen. Sie brauchte etwas Zeit, um zu begreifen, dass sie ihre Lebensziele mit mir nicht erreichen würde und sie somit zwangsläufig umdisponieren musste. Es war sicherlich schwer für sie.
Zu der Zeit machte ihr ein Türke den Hof, den ich entfernt vom Feiern her kannte. Ein ekeliger Typ, wie ich fand. Aber irgendwas lief da zwischen den beiden. Oder gab sie dem Ganzen nur den Anschein, in einem verzweifelten Versuch mich eifersüchtig zu machen?
Unter Männern war es ja eigentlich eine Frechheit von ihm, meine Freundin anzumachen, da ich ja noch zusammen mit ihr wohnte. Anderseits war es für mich eine Art Erlösung, da ich mich angesichts dieser Sache, nun nicht mehr allein als Schuldiger dafür empfinden musste, dass unsere Geschichte kein Happy End haben würde.
Trotz allem: Er hatte eine fiese Art, die mir nicht gefiel. Es griff irgendwie mein Ego an. Und ich bin mir auch sicher, dass er mich auch verabscheute. Die dunklen Augen in seiner Verbrechervisage glühen jedenfalls, wenn er mich sah. Und obwohl das so war, war er hinterlistig und schlau genug, mich zu übertölpeln. Oder ich war dumm genug dazu, wie man es auch sehen will.
Obwohl wir uns verachteten, brachte er es eines Abends fertig mich zu umgarnen und zuckersüß zu mir zu sein. Er sagte zu mir:“Komm, lass uns nicht streiten wegen den Weibern!“ Und er er gab mir zur Versöhnung einen Bessen Genever nach dem Anderen aus. Er sah mich aus seiner schmierigen Fresse an, lächelte und legte mir sogar seinen Arm um die Schulter:“Ja, ich geb zu: Ich fand sie gut, Deine Freundin. Aber nun ist das vorbei! Alles gut zwischen uns?“ Und dabei versuchte er so freundlich auszusehen, wie er es konnte. Der Mund in seinem Killergesicht bog sich nach oben.
Nun, da ich ohnehin im Rückzug war, war es mir fast egal und da ich zudem langsam betrunken wurde, löste sich meine Zunge, ganz genau so, wie es der schaue Hund beabsichtigt hatte, und naiv und dumm sagte ich zu ihm:“ Ich bin auch mit ihr durch. Ich hab sie sogar schon betrogen und hintergangen, deswegen ist es mir eigentlich egal was ihr macht…Von mir aus kannst Du sie haben!“ Ich hatte wirklich geglaubt, dass wir uns unter Männern ausgesprochen hatten. Als ich ahnungslos nach hause kam, öffnete sie völlig verheult die Türe. Dieser Bastard hatte sie sofort angerufen und ihr alles gesteckt. Jetzt war sie natürlich maximal verletzt.
Wenn es nach mir gegangen wäre, dann hätte sie von diesen gelegentlichen Entspannungen mit der Mitschülerin aus der Weiterbildung und die inzwischen auch noch, hier und da, aufgetretenen Einzeleskapaden mit der einen oder anderen Nachbarin und diversen weiteren jungen Damen, die sich beiläufig ergeben hatten, nie ein Wort erfahren. Wir waren doch ohnehin dabei uns zu trennen und lebten nur noch in einer seltsamen Trennungsphase nebeneinander her. Wozu ihre Gefühle verletzen? Das hätte sie alles nicht wissen müssen.
Doch nun wußte sie es. Der ekelige Türke hatte mich zielgerichtet ausspioniert und ihr alle Details übermittelt. Ein smarter Schachzug von dem Wixer. Natürlich war sie jetzt die Betrogene, die maximal Enttäuschte.
Ich kam die Treppe im steinernden Treppenhaus hoch und ich werde nie vergessen wie gruselig diese Szene war, die sich nun meinem Anblick bot. Sie stand in ihrem Nachthemd da im Türrahmen und war völlig aufgelöst. Das Gesicht war nass, die Schminke lief ihr schwarz die Wangen hinab.
Doch, das Katzenauge war auch eine Löwin. Und da sie mich nun erblickte, hinter ihren salzigen Tränen, erhob sich die Wut, der Hass, über diesen Verrat und in ihren schönen Augen blitzte die Mordlust auf. Noch bevor ich die Wohnungstüre erreichen konnte, hatte sie mit fahrigen Bewegungen vom Flurtischchen etwas gegriffen. Und jetzt sprang sie mit einer rostigen, großen Schere, die sie als Stichwaffe mit der Faust über ihren Kopf erhoben hatte, auf mich los. Ich drehte schnell um und rannte die Treppe wieder runter. Sie jagte mich barfuß, durch das Treppenhaus, auf die Straße.
Vollkommen zurecht. Nie werde ich ihr nassgeheultes Gesicht vergessen, ihre nackten Füße, das Nachthemd, die zum Töten erhobene Schere. So rannte sie mit gefletschten Zähnen hinter mir. Und ich rannte auch, denn in diesem Zustand war sie zu allem fähig. Sie hätte mir das Ding in den Leib gerammt und wahrscheinlich hätte ich das auch verdient gehabt.
Als sie sogar auf der dunklen Strasse nicht haltmachte und mit patschenden Füßen hinter mir her rannte, musste ich plötzlich lachen, weil die Szene so filmreif war. Musste sie sich jetzt noch verhöhnt vorkommen?Das wäre nicht so gut.
Dieser Frau hatte ich weh getan und das hatte sie wirklich nicht verdient. Das wusste ich auch, aber ich war wohl nicht Mann genug gewesen, um das seriöser zu klären. Die Chance auf ein gesünderes und normales Leben war jedenfalls verspielt.
Schlimmer noch: Ich hatte sie zutiefst enttäuscht und verletzt. Heute kann ich sehen wie ehrlos mein Verhalten war, aber damals hatte ich einfach diese Klasse nicht. Ich lud mir große Schuld auf und ich würde dafür karmisch auch bluten müssen in meiner Zukunft, aber von all dem ahnte ich in dem Moment, da sie mir voller Hass barfuss auf dem Bürgersteig nachstellte, nichts. „Du Feigling!“ schrie sie mich an. „Bleib stehen!“ „Damit Du mich abstichst?“ rief ich ihr zu, immer den sicheren Abstand von drei Metern einhaltend. Und jetzt tat sie etwas, voran man ihren mutigen Charakter sehen kann: Sie nahm die lange, spitze Schere und stopfte sie in unseren Briefkasten, erhob die Fäuste und stellte sich breitbeinig in Kampfposition: „Dann komm jetzt her!“ schrie sie durch ihre Tränen, bereit ihre verlorene Würde zu rächen. Sie war bereit mir den Schmerz zurückzugeben und sie war ohne Zweifel willens mich zu verdreschen. Selten habe ich mich so unwürdig gefühlt und geschämt. „Ich kann mich nicht mit Dir schlagen!“ sagte ich und da sie das einsah, blieb ihr nur mich mit den schlimmsten Schmähungen zu überziehen und sie hatte bestimmt recht. „Du bist das Allerletzte! Ehrlos und ein Feigling!“
Ja, das war bestimmt richtig. Das Katzenauge hatte wirklich alles getan um mich zu retten. Sie hatte mich geliebt, so wie ich war und die Umstände waren ihr allesamt egal gewesen. Und jetzt bekam sie dafür meinen Undank. Ein weiteres Mal stieß ich die Liebe von mir.
Aber insgeheim war ich auch froh, dass ich nun weg konnte. Tief in mir drin, wußte ich, dass ich diesen Weg nicht mit ihr gehen wollte. Und ich wußte in diesem Moment, als ich heftig keuchend, in dieser nächtlichen Szene vor dem Haus stand, dass es jetzt höchste Zeit war, mir eine neue Wohnung zu suchen.
Die Musik um mich herum entwickelte sich atemberaubend in diesen Jahren. Als ich meinen ersten Fuß auf eine Tanzfläche setzte, in der Mitte der Achtziger, sang Janet Jackson: „What have you done for me lately?“. Dieser historische Moment geschah in einem kleinen Club namens „For You“ auf der Bahnstrasse. Dicht gedrängt standen aufgebrezelte Jungs und Mädels um die leuchtende, quadratische Tanzfläche. Mein Freund Thor hatte mich hier hingeschleppt, so wie er mich seit einigen Jahren schon überall mit hingenommen hatte. Wie immer war ich in seinem Windschatten durch die Menge geglitten und hatte wie ein passiver Zuschauer, wie ein Träumer, alles beobachtet und aufgenommen.
Nun stand er vor mir und machte wie selbstverständlich den Schritt auf die Tanzfläche und mit einem breiten Grinsen begann er seine üblichen Verrenkungen zu machen. Sein Hemd war weit offen über den breiten Brust und er verströmte eine betäubende Duftwolke des Parfüms „Lagerfeld“, dass er sich von seiner Mutter entliehen und großzügig über sich gekippt hatte. Er sagte immer:“Das macht die Weiber willenlos!“
Seine breiten Schultern wanden sich, seine Hüfte drehte sich, und die Arme ließ er in die Luft steigen. „Komm schon!“ lachte er mich an.
Ich hatte Respekt und Angst. Mein Herz klopfte. Wie peinlich! „Ich soll so rumhampeln vor den Leuten? Die kucken doch bestimmt…“ dachte ich. Ich war so scheu, wie ein Kleinkind, dass seinen dicken Zeh in ein Schwimmbecken tauchte und dann verstörrt und x-beinig, mit Schwimmflügeln, am Beckenrand steht. Ich schritt auf die Tanzfläche wie ein Rehkitz. Und stand für einen Moment da, als sei sie aus Eis gewesen, und als wüßte ich nicht, was ich jetzt tun, wie ich ich mich bewegen sollte. Dann rettete mich „Dead or Alive“. Der quirlige Synthi-Sound von „You spin me right round“ war so antreibend, dass ich ich einfach auch begann irgendwie unsinnig rumzuhampeln, wie die anderen das auch taten. Klar, ich hatte schon auf vielen Parties getanzt, in den Jugenddiscos der Kirchengemeinden, auf Vereinsfesten, auf Geburtstagsparties. Aber das hier war etwas anderes. Es war ein richtiger Dancefloor, eine richtge Disco. Und dann fiel die ganze Hemmung von mir ab, ich schloss die Augen und ließ mich in die Musik fallen. Sie trug mich und mein Körper bewegte sich fast von alleine dazu. Das war der Anfang. Thor und ich grinsten um die Wette. Er schrie in mein Ohr: „Kuck mal die Blonde da drüben!“
Ja, so war das losgegangen. Da war sie geboren worden meine Liebe zum Nachtleben. Inzwischen war so viel passiert!
Die Achziger Jahre, mit ihrem leichten Synthesizerpop waren langsam in die Neunziger Jahre übergegangen und das hatte auch bedeutet, dass die DJs nicht mehr nur die Charts spielten, sondern zunehmend auch Musik, die speziell für die Clubs ausgelegt war, die nicht in den Radios zu hören war. Und das wiederum hatte auch bedeutet:
House und Techno!
Ich bin kein Musikhistoriker und nicht einmal ein großartiger Insider der Musikszene, aber auf meine Art habe das alles live miterlebt. Von der Tanzfläche aus.
Die Musik hatte sich, wie alles andere auch, wie die Mode und die Technologie, wie der gesamte Zeitgeist, immer weiterentwickelt. Das hatte sie schon immer getan. Sie klang immer neu und sie faszinierte uns immer wieder anders.
Trotzdem war es mit der Technomusik eine besondere Geschichte. Sie traf mich plötzlich und hart. Irgendwie hatte ich das nicht kommen sehen und ich habe auch ganz sicher ihre allerersten Anfänge verschlafen. Diese Musik trat ganz plötzlich in mein Leben.
Es war eine bestimmte Nacht im Ratinger Hof, in Düsseldorf. Zuerst war es wie immer gewesen. Ich hatte getrunken, ein paar Sachen eingeworfen und ich hatte getanzt und nach Mädchen gepeilt. Eine Nacht wie hunderte zuvor. Da hörte ich nach Mitternacht die ersten Tracks einer, für mich zunächst, recht seltsamen Musik. Da war ein DJ hinter das Pult getreten, der legte etwas auf, was ich noch nie gehört hatte.
Diese Klänge brachen gänzlich und grundsätzlich mit meinen Hörgewohnheiten, die, wie gesagt, durch den Mainstream und die Charts der Achtziger Jahre geprägt worden waren. Weil ich seit meinen frühen Kindertagen schon vor dem Radio geklebt hatte, hatte ich in den späten Siebzigern sogar noch die Geburt der Diskomusik mitbekommen. Ich hatte die „Bee Gees“ ihr „Staying alive“ singen hören und es hatte die Welt verändert. Alle möglichen Entwicklungen der Musik hatte ich seitdem miterlebt: Punk, Reggae, Heavymetal, Neue deutsche Welle und New Wave und und HipHop. Das war alles ganz normal gewesen. Das Radio hatte immer neue Klänge ausgespuckt und die elektronischen Soundquellen hatten, ohne das mir das sehr bewußt aufgefallen war, immer mehr Einfluss auf den Klang der Musik genommen, aber was nun an mein Ohr drang, schien trotzdem in keinerlei Verbindung damit zu stehen. Das hier war ein harter Cut für mich. Was bitte war das? Ich hörte scheinbar ewig nur eine monotone Bassdrum. „Was zur Hölle?“ dachte ich.
Für mich war das keine Variante der bekannten Musik. Was ich da hörte, funktionierte anders. Ich stand da regelrecht verstört, weil ich nicht verstand, was ich da überhaupt passierte. Ein paar wenige Leute jubelten und fingen an sich absonderlich zu verrenken zu den ungehörten Klängen.
Klar, ich kannte die bekannten Nummern von Kraftwerk und Depeche Mode, und ich hatte auch schon vereinzelte Chicagohousesounds gehört. Aber diese Tracks, die da nun an mein Ohr drangen, waren einfach nur fremd. „Was ist das?“ Ich zog mich an den Rand der Tanzfläche zurück.
Natürlich hatte sich diese Musik auch organisch und langsam aus Vorangegangenem entwickelt, aber scheinbar hatte ich das, in diesem Fall, wohl komplett verpennt. Für mich war es, als sei dieser Sound direkt aus dem Universum und plötzlich, auf den Dancefloor gefallen. Harter Cut. Das waren fast brutale Klänge. Es war hart und maschinell.
Ich hörte es und verstand die Welt nicht mehr. Ich starrte am Rande der Tanzfläche irritiert umher und lauschte. Wie damals, bei meinem ersten Discobesuch, wußte nicht, wie ich mich dazu bewegen sollte. Bummm bumm bummm. Ratlos mit hängenden Armen starrte ich unter meiner Geltolle hervor und traute meinen Ohren nicht.
Es war, als wären auf einmal die Aliens gelandet. Als hinge das Raumschiff über der Tanzfläche und als höre ich das Stampfen des Maschinenraums, Peilungssignale, die ins All echoten und Laserstrahlen, die mir um die Ohren flogen. Der Raum, der Dancefloor, wurde mit einer neuen Energie geflutet. In dieser Sekunde berührte es mein Leben, drang diese Schwingung und Energie durch meine Membrane, in mein System, in mein Gehirn und meinen Körper. Gut, es mag sein, dass ich ne Pappe gefressen hatte, aber so war es.
Wieder begann ein neues Zeitalter für mich. Von nun an würde die Welt nicht mehr die selbe sein können. Dies veränderte alles. Das war meine erste Berührung mit einer Musikrevolution, wie es sie seit dem Rock’n’Roll nicht mehr gegeben hatte. Ein Robotergott hatte in einer neuen, fremden Sprache gesprochen.
Diese Art der elektronischen Tanzmusik, mit ihrer, für mich so anderen Art des Sounds, schien mich augenblicklich in eine ferne Zukunft zu versetzen. So fühlte ich mich jedenfalls.
Diese Klänge und dieser Aufbau. Das war tatsächlich so fremd, als stamme es von einem weit entfernten Teil des Universums. Staunend nahm ich wahr, wie futuristisch, energetisch und auch mystsisch es sich irgendwie anfühlte. Es war, als wäre eine neue elektronische, digitale Sonne aufgegangen, und in ihrem ungekannten Licht sah die Welt nun anders aus. Und vor allem hörte sie sich anders an! Statisch, maschinell, monoton und fast penetrant sogar. So empfand ich es zunächst. Die Soundwaves aus der fremden Galaxie.
Auf einmal war also etwas Neues da. Etwas, was ganz anders tickte, als das Alte. Und das war megaaufregend irgendwie. Während die große Masse der Menschen sich noch zu den ganz normalen Klängen der Chartmusik feierte, legten die DJs der Stunde in den Untergrundclubs diese Scheiben auf, diese Musik vom andern Stern. Das geschah fast heimlich, tief im Untergrund.
In den Radios und in den meisten Clubs war davon noch nichts zu hören. Die Menschen an der Oberfläche hatten keine Ahnung, was in den kleinen, finsteren Clubs geschah und was sich da anbahnte. Es waren Pioniere, die es spielten.
Und nun hatte es mich erwischt. Für mich war es, als habe ich auf einmal in die Steckdose gepackt und wäre per Schock zum Weltraum-Roboter mutiert. Jetzt war das Techno-Raumschiff gelandet. Ja gut, ein paar Pillen und Nasen waren gleich mitgelandet, aber das gehörte ja alles irgendwie zusammen.
Die neuen Götter aus dem All sprachen nun zu mir. Sie sprachen in Sound und Vibes.
Ich war einen langen Weg über Elvis, die Beatles, Beastie Boys und Frankie goes to Hollywood usw. gekommen und nun sah ich mich im vertrauten Trockeneisnebel und den bunten Lichtflecken der Scheinwerfer, knarzenden und blubbernden Klangflächen gegenüber, die von stampfenden Bassdrums getrieben wurden. „Mein lieber Schwan! “ Das war ne ganz andere Party.
Durch den farbig blinkenden Nebel sah ich Leute, die sich ganz anders bewegten, als ich das jemals bei einer humanoiden Lebensform gesehen hatte. Sie zuckten und wanden sich grotesk. Was zur Hölle war hier auf einmal los? Hatte ich den Verstand verloren? War ich tot und im Maschinenraum der Hölle gelandet?
Der Krieg der Soundroboter war ausgebrochen! In Stroboskopenblitzlicht zuckten die schweißnassen Körper und es war wie eine Energiereise zu einem verrückten Planeten. Ich kam gar nicht klar! „Heftig!“ schoss es mir durch den verwirrten Kopf.
Ich kam mir vor wie ein Urwaldindianer der zum ersten Mal eine Fotografie sah und es nicht begreifen konnte. Der Neandertaler in der Großstadt. Ich stand wie ein Fragezeichen da, während alles um mich herum ein grostekes Stampfen und Brummen war. Ich musste wohl in eine fremde Dimension gerutscht sein.
Dies hier lag eindeutig außerhalb meiner gewohnten Komfortzone. Manche Freunde von mir waren ab der ersten Sekunde begeistert, sie verstanden sofort, waren pure Begeisterung von Anfang an. Mit dem ersten Ton waren sie weggebeamt worden, in die Zukunft, und auf den Zappelplanten. Ich aber fremdelte.
Die Tracks waren viel länger und langsamer aufgebaut, oft begannen sie mit einer Bassdrum die monoton und scheinbar ewig stapfte bis irgendwann ein weiterer Sound dazu kam. Es war eine Monotonie, die mich stumpf und dumm machte, die mich aber auch irgendwie einfing. Der Fokus lag sehr stark auf der rhytmischen Entwicklung. Ganz sparsam bauten sich die Tracks auf. Die ewigen Wiederholungen nervten mich anfańgs. „Was ist das bloß?“ Ich raffte die Lage nicht.
Ich war ungeduldig und verstand nicht warum scheinbar so wenig passierte. „Warum läßt man sich solche Zeit?“ fragte ich mich, während ich immer noch verstört am Tanzflächenrand stand, als wäre ich per Zeitreise in eine entfernte Zukunft teleportiert worden. Ich konnte mit diesem Sound noch nichts anfangen, aber ganz langsam begann es mir zu dämmern, dass es hier um ganz andere Dinge ging. Diese Klangwelt funktionierte scheints anders. Ich brauchte Zeit um die wabernde Energiesprache der Weltraumzombies zu verstehen.
Es ging hier nicht um Melodie und Refrain. Gesang und menschliche Stimmen gab es hier gar nicht.
Vielleicht hatte ich auch nur zuviel LSD genommen an dem Abend, aber es gab diesen „spooky“ Moment für mich, wo ich dieser Musik „begegnete“, wo das Zukunftsufo mich mit dem Traktorstrahl einsog.
Im Ratinger Hof kam, am frühen Morgen, immer der „Rausschmeißer“. Das Licht ging schlagartig an und vom hinteren Ende des Clubs schritt der Türsteher mit dunkler Aura langsam nach vorne und rief:“Feierabend!“. Mit langem Ledermantel schob er sich wie eine Wand heran. Aus der dunklen Tiefe des Clubs kam er, wie das leibhaftige Böse.
Auf diese Weise trieb er in kürzester Zeit die verpeilten Gäste zum Ausgang hin. Jetzt wurde es ungastlich und es gab keinen Zweifel daran, dass man möglichst sofort zu gehen hatte. Das Discopersonal wollte schließlich auch einmal nach Hause.
So wurde ich mit der Blase der übrigen Gäste auf die Straße gespült. Der Morgen graute schon. Ich kam nicht klar. Eben war ich noch vom Techno-Ufo in ferne Sounduniversen entführt worden und nun stand ich in der Düsseldorfer Altstadt. Steinhäuser und Kopfsteinpflaster. Ich äugte weltfremd um mich. Die übrigen Leute hatten sich schnell in alle Himmelsrichtungen verteilt. Ich stand da wie ausgespuckt.
Irgendwie hatte ich eine ungefähre Erinnerung in welche Richtung ich gehen musste, um eine U-Bahnstation zu finden. Ich schlenderte los und blickte dabei auf den Gehsteig vor meinen Füßen. Diese Welt war mir zuviel und ich schämte mich, fühlte mich nackt und schutzlos. Ich wollte schnell unter meinen Stein, mich verbergen. Ich war eine lichtscheue Kakerlake.
Nach dieser ersten harten Konfrontation mit dem Techno, tauchte die Musik in meinem Umfeld immer öfter auf. Die meisten meiner Freunde waren wie elektrisiert davon. Sie schwärmten von bestimmten Tracks und sprachen unentwegt von DJs und einschlägigen Clubs. Sie waren wie besessen. Ich begriff das nicht. Was entging mir da?
Ich erinnere mich sogar, dass wir eines Morgens bei meinem Dealer auf dem Ostwall saßen und er ein paar solcher Scheiben auflegte und es mich unfassbar nervte. „Stupide!“ dachte ich. „Nervend! Eintönig!“
Ein paar Feierzombies saßen da rum. Ausgemergelte, verschwitzte Gestalten deren Gesichtszüge vollkommen entgleist waren. Sie hampelten ungelenk im Sitzen, während durch die Schlitze der Jalousie schon langsam das Sonnenlicht des neuen Tages drang.
Und dann, ich weiß nicht wie, kam es auch bei mir an. Es war, als würde ein Schalter umgelegt. Ich hörte auf mich innerlich zu wehren, gab auf, es mit dem Kopf zu hören und da begann mein Körper wie von selbst auch mitzuhampeln. Ab da entfaltete auch für mich das Faszinationspotential, meine Ohren öffneten sich für das „neue“ Hören und so wurde ich zumindest ab da, langsam aber sicher, ein passiver Teil einer musikalischen Revolution.
Aus „Umwege. Die innere Reise. Von: Sven Bost. (Noch unveröffentlicht)