Kokain ist eine Teufelsdroge. Es ist wie Raketentreibstoff für das Ego. Es macht Dich für einen Moment überlebensgroß. Dieses Rauschgift kommt aus Südamerika und wird aus den Blättern des Cocastrauches gewonnen. In verschiedenen Herstellungsstufen werden die Blätter mit Schwefelsäure, Zement, Kerosin, Ammoniak und vielen weiteren Chemikalien vermengt. Am Ende hat man auf diese Weise ein weißes Pulver extrahiert: Das Kokain. Eigentlich ist es eine unfassbare Chemiepampe. Wenn man es durch die Nase zieht, wird langsam das Gaumensegel und der Rachen taub. Das haben viele Menschen schon einmal ausprobiert. In leichter Dosierung hebt es in angenehmer Art die Stimmung. Ganz früher war es sogar einmal Bestandteil der Coca Cola und zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts benutzten Zahnärzte es noch zur lokalen Betäubung. Schnell wurde die Substanz beliebt und als Droge zur Stimmungsaufhellung benutzt, denn der Effekt von Kokain ist extrem euphorisierend.
Ich hielt mich aber nicht damit auf, es dezent über die Nasenschleimhäute aufzunehmen: Nein. Das war für Anfänger! Die Anflutung im Gehirn passiert dann langsam und zeitversetzt. Ich saß in der Wohnung, die ich nun für eine Woche für mich allein hatte, und löste das Kokainpulver in einer kleinen Menge Wasser auf und spritzte mir das Glückselixier direkt und ohne Umleitung in die Blutbahn. Das ist hochgefährlich. Leicht sind tödliche Überdosen erreicht. Ich rührte es einfach mit Wasser auf einem Löffel um, zog die Spritze auf und: Bumm!
Mit dem Blutstrom jagte das Kokain zum Gehirn und dort explodierte es innerhalb einer Sekunde als lichthelle Glücks- und Energiebombe. Mein Herz wurde in einer steilen, hohen Welle hinaufgetragen, wie bei einer extremen Achterbahnfahrt. Dieser Schub schoss mich in die höchsten Höhen eines grellen und goldenen Sonnenscheins! Jetzt stand ich auf dem höchsten Glücksgipfel der Welt. Das war mit Abstand das absoluteste und hellste Hochgefühl, das ich je erlebt habe. Es fühlte sich in mir an, als sei mein Lebenslicht von dem gelblichen, flackernden Leuchten einer Kerze zu einem kristallklaren, weißen Flutlicht geworden. Es strahlte mit der Allmacht eines großen Triumphgefühls. Ich erlebte ein inneres Feuerwerk der Lebenslust und ein Dopaminspektakel, wie es in einem normalen Leben nicht vorkommen kann.
Ich war Ironman und die Schubdüsen schossen mich in den Nachthimmel! Überflug über das Dach der Welt in der Platinum-Extra-VIP-Klasse! Mein Schädel klappte nach oben auf und das Hirn explodierte in das weite All hinaus! Augenblicklich stand ich unter atomarem Starkstrom. Ich war der allmächtige Lichtsohn von Universien. Mein Gehirn hatte in die Kokain-Steckdose gepackt und schlug Funken!
Ich musste raus, unter Menschen! Jetzt und sofort! So stürzte ich aus der Wohnungstür und mein Ziel war das Frankfurter Nachtleben. Ich schwebte mit intergalaktischen Schubdüsen zum Bus und wenig später wieder aus dem Bus hinaus zur S-Bahnstation. Auf einem Treppenabsatz im Halbdunkel neben der erleuchteten Haltestelle, setzte ich mir den nächsten Schuss. Der Schubeffekt baute sich leider recht schnell wieder ab. So geriet ich irgendwie nach Frankfurt City, schob wie eine Lenkrakete durch die Straßen und fand schließlich einen großen Club, vor dem die Leute Schlange standen.
Mir Kokain zu spritzen war zweifelsfrei die Krone meiner Maßlosigkeit. Mehr Überhöhung und lüsterne Gier als diesen Zustand gibt es nicht. Es ist der extremste Pol, das äußerste der Gefühle. Als fremder Lichtgott aus einer fernen Galaxie stand ich in der weiten, hellen Halle des Clubs. Lichtstrahlen schossen aus meinen Herrscheraugen und scannten die Untertanen.
Jedes Kind weiß es jedoch: Zu viel des Guten wird schnell zum Schlechten. Die überzüchtete Euphorie kann an ihrem Scheitelpunkt nur noch kippen und das tat sie auch bald. Aus meinem übergeilen Egoflug wurde bald eher eine Art verkrampfte Hysterie. Zu viel Kokain ruft auch Halluzinationen hervor. Von dem grellweißen Flutlicht in mir wurde alles überstrahlt, alles um mich herum löste sich in gleißendem weißen Schein auf. Ich fing an zu beben. Ich hätte in dem Zustand mit niemandem mehr sprechen können. Ich hatte zu viel Schub um in meinem Mund ein Wort formen zu können. Ich tanzte mit mir allein und die Clubs und die Menschen waren nur Kulisse, wie ein Film, der um mich herum ablief.
Das Kokain nahm Besitz von mir und zog mich in einen besessenen Strudel hinein, in eine tödliche, brennende Gier. Längst war ich äußerlich zu einem schwitzenden Gollum geworden, mit hervorgetretenen Augen, die irre blickten, und der schwitzte, der kaum noch Luft bekam, weil sein Herz solch einen Überdruck in ihm aufbaute. Es war zu viel. Viel zu viel. Es war messerscharf an der Kante.
Auf den Toiletten legte ich nach. Ich saß auf einer Klobrille und suchte mit zitternden Händen nach einer Vene am Fußknöchel, als ich eine fand, lief mir Blut auf den Rand meiner weißen Socke. Dann torkelte ich wieder ins Geschehen zurück. Ich weiß nicht mehr, wie viele Stunden so vergingen und wo ich im Detail überall war. Es war ein bizarres Video, das ich erlebte. Heute frage ich mich, wieso ich das überlebt habe. Habe ich es überlebt? Oder bin ich in jener Nacht ein weiteres Mal im Multiversum gestorben und in eine schlechtere Parallelwelt abgestiegen, weil ich mich wieder einmal unentschuldbar versündigt hatte auf meinem Umweg durch das Leben? Jedenfalls rutschte ich die karmische Abwärtsspirale hinab wie eine Spaßrutsche im Schwimmbad. Irgendwann hatte ich mich in einen weiteren Club verirrt, da merkte ich nach einer Weile, dass ich nur von Typen umtanzt wurde. Hinter den wirren Schlieren meiner Wahrnehmung stellte ich entsetzt fest, dass hier keine einzige Frau war.
Da hatte ich mich wohl im Etablissement vergriffen. Wieso hatten die alle bunte Cowboyhüte auf und Federboas um? Karneval war doch nicht, oder doch? Als ich meinen fatalen Irrtum einsah, tanzte ich schleunigst rückwärts wieder zur Türe raus und endete im Morgengrauen in irgendeinem Hauseingang wo ich zitternd, vibrirend und krampfend noch versuchte mir den zwanzigsten Druck zu setzen und kippte langsam auf die Schattenseite des Rausches…Mein Heiligenschein begann zu flackern.
Irgendwie fand ich nach Hause und dann ging das Licht aus. Alle Brennstäbe waren ausgebrannt, jedes Glückshormon war im inneren Feuerwerk verglüht. Vom strahlenden Glorienschein meiner eigenen Herrlichkeit blieb nur noch eine flackernde Glühbirne der Erbärmlichkeit übrig. Sie glomm immer weniger und dann wurde es dunkel, völlig abgefackelt, verkohlt und verbrannt vom inneren Feuer, schlief ich ein.
Als meine Freundin von ihrem Heimaturlaub zurückkehrte und mir beichtete, dass sie dort Sex mit ihrem Ex-Freund gehabt hatte, konnte ich das zwar irgendwie nachvollziehen, es war aber trotzdem irgendwo enttäuschend. Es tat weh. Trotzdem schlief ich noch einmal mit ihr und weil ich genug Heroin im System hatte, war mein Problem mit der vorzeitigen Ejakulation gelöst. Das Heroin machte mich dumpf und betäubt. In diesem Zustand konnte ich es ewig mit ihr treiben. Sie sah mich begeistert an: “Wieso bist Du nicht gleich so gewesen?” fragte sie mich. Ich konnte es ihr nicht sagen.
Jetzt war mir alles endgültig egal. Ich schmiss den Job und die Beziehung, nahm den 10.000,- Mark Kredit, den mir die Hausbank meines Arbeitgebers freundlicherweise eingerichtet hatte, packte meine Habseligkeiten und meinen Hund ein und fuhr wieder nach Krefeld. Stoned wie ein Schwein jagte ich die Autobahn hinunter. Jetzt wo ich ohnehin wieder umgefallen war, konnte ich auch zurück in meine geliebte Heimatstadt, den Ort, den ich liebte und kannte, wo ich kein Fremder war. Endlich kam ich heim. Nicht als Sieger, nicht glorreich, nein, eher im Gegenteil, aber ich kam heim.
Aus: „Höllensturz“ (Umwege. Die innere Reise. Band 2) Das Buch erscheint voraussichtlich noch in 2024.