Weil ich, wie gesagt, eine akute Hepatitis C hatte und ich mich etwas schonen sollte, bekam ich im Kuhstall eine weniger anstrengende Rolle zugeteilt. Während die anderen Mist aufgabelten und in Schubkarren auf den großen Misthaufen schoben, bestand meine Aufgabe darin, die Tiere zu reinigen. Eine sehr alte Dame, die mindestens einen der beiden Weltkriege noch persönlich erlebt hatte, unterwies mich militärisch und dementsprechend knapp und ruppig in meinem neuen Betätigungsfeld. Mit zusammengebissenen Zähnen ließ ich diesen Tonfall über mich ergehen und beäugte sie dabei aus feindseligen Augenschlitzen. Die energische alte Bäuerin hatte eine drahtige Figur und trug ihr weißes Haar unter einem Kopftuch. Trotz ihres hohen Alters war sie noch wieselflink. Sie stand vor mir wie ein SS-Hauptmann. Mit schneidender, harter Stimme und rollendem “R”, trug sie mir kurzerhand auf, dass ich mich hinter die jeweilige Kuh stellen und die von getrocknetem Kuhdung starrenden Schweife einfangen solle: „Dann nimmst Du den Eimer her…Hier… So unter den Arm… und mit der anderen Hand fängst Du den Schweif und hältst ihn in den Eimer, damit sich der Dreck löst! Da fang an!“ Für mehr erhellende Worte hatte sie keine Zeit. Schon marschierte sie wieder von dannen und ließ mich allein hinter dieser langen Reihe kolossal verdreckter Kuhärsche stehen. Ich stand da zunächst recht ratlos und versuchte dann, recht schüchtern meinen ersten Kuhschweif zu fangen.
Die Kühe stanken gottserbärmlich. Sie hatten in ihren Fladen gelegen und sie waren wirklich komplett voller Mist und Dreck, der eingetrocknet in dicken Krusten an ihren Flanken klebte. Weil sie im Winter eingelagertes Stroh mit Melasse fraßen, hatten die Rindviecher alle Durchfall. Der Stall war eine olfaktorische Hölle. Der ganze Saal war vollgeschissen und vollgepisst. Ich rang nach Luft.
Jetzt stand ich da, eben noch quasi Vortänzer in der Königsburg, mit Gummi- statt Cowboystiefeln im Stall und versuchte Kuhschwänze zu fangen. Das war gar nicht so einfach, denn sie schlugen ständig nach Fliegen damit. Diese Rinderart hatte sehr lange Haare an ihren Schwänzen, es waren richtige Schweife, wie Pferdeschwänze fast. Diese langen Haare an ihren Schweifen sahen aber aus wie Dreadlocks, weil sie mit altem, versteinertem Mist verklebt waren, der in runden Kugeln und langen Würsten darin hing. Mit einem Eimer kalten Wassers unter dem Arm stand ich nun da und hatte den unmissverständlichen Befehl, diese zuckenden Mistpeitschen einzuweichen.
Man kann sich vorstellen, wie begeistert ich davon war. Und auch die Kuhdamen waren von dem ganzen Plan wenig angetan. Wer will schon seinen Schwanz in kaltes Wasser getaucht bekommen? Also ich jedenfalls nicht! Und so verstand ich es auch prinzipiell, dass sie sich nicht selten dabei widersetzten. Es konnte vorkommen, dass sich mir ein solcher Dungzopf entriss und dann peitschten sie ihn mir, halb eingeweicht, rechts und links, um die Ohren. Ein durchaus verzichtbares Erlebnis. Den mistverklebten Schweif zogen sie mir wie einen Pinsel, kreuz und quer durch mein verdutztes Königsgesicht. Was für ein Bild: Ich stand hinter der langen Reihe der verkackten Rindviecher und machte Armdrücken mit den Mistpeitschen, während ich den Eimer mit dem dreckigen, kalten Dungwasser unter dem anderen Arm hielt. Alles schwappte über mich und ich fühlte mich vom Schicksal verarscht.
Wenn eine Kuh den Schwanz am Ansatz leicht anhob, dann musste ich schnell zur Seite springen, denn dann war sie im Begriff, einen Schwall breiartigen Melasse-Dünnschisses nach hinten abzufeuern. Nicht selten taten sie es mit solcher Wucht, dass der Strahl an die Wand hinter mir spritzte. Die Kühe schissen also sprichwörtlich die Wand an und ich jumpte dahinter mit meinem Eimer voller stinkender Brühe umher, wie Supermario bei Donkey Kong.
Wenn ich die Kühe striegelte und zwischen ihnen stand, lief ich zwar nicht mehr Gefahr angeschissen zu werden, aber dann kam es vor, dass sie mich fast zerdrückten. Wenn zwei Rinder, die jedes circa eine halbe Tonne wogen, mich einklemmten, konnte ich sie nur mit einem gezielten Ellenbogenhieb in ihre Rippen davon abhalten mich plattzudrücken. Also wirklich leberschonend war dieser Job auch nicht. Nach einer Weile schaffte ich es, ca. 3 Kühe pro Tag zu säubern. Mit größter Mühe und Anstrengung gelang es mir, sie zu striegeln, abzuwaschen und ihnen den trockenen Mist vom Leib zu kratzen. Ich stand schweißgebadet daneben. Die Kuh sah aus wie neu! Ich hingegen spottete jeder Beschreibung. Ich war von oben bis unten voller Mist und Stroh und stank bis weit in die Alpen hinein.
Dies ist ein Auszug aus dem Kapitel: „Pocahontas“ aus dem Buch:
„Höllensturz“ – Umwege. Die innere Reise. Band 2
Erscheint voraussichtlich noch in 2024…